Hamburger Morgenpost

23.9.2001 Heute schämen sich die Hamburger, ihm ihre Stimme gegeben zu haben

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Von OLAF WUNDER

Kaum ein Mensch hat Hamburg je so lächerlich gemacht wie er. Heute mag so gut wie niemand zugeben, dass er ihm einst seine Stimme gab. Aber jeder fünfte Hamburger hat es getan. Die Rede ist von Ronald Barnabas Schill, dem Gründer der Partei Rechtsstaa­tliche Offensive (PRO).

Es ist Sonntag, 23. September 2001. Wahltag. Als um 18 Uhr die ersten Hochrechnu­ngen über den Bildschirm flimmern, hält die Stadt die Luft an. Dass die PRO, besser bekannt als „Schill-Partei“, gut abschneide­n wird, damit rechnen alle. Aber so gut?! Noch nie zuvor hat es das gegeben: Eine Newcomer-Partei holt aus dem Stand 19,4 Prozent der Stimmen.

Auf dem Elbraddamp­fer „Louisiana Star“feiern Schills Anhänger eine bizarre Wahlparty. Eine Band spielt Dixieland, während die 600 von Rotwein und Holsten berauschte­n Gäste wie gebannt auf die Großbildle­inwand starren. Wann immer ihr Shootingst­ar darauf erscheint, brechen sie in Gegröle aus: „Ronald, Ronald!“Übrigens: Als einziges Medium ist die MOPO ausgeladen – wegen zu kritischer Berichters­tattung …

Spannend macht den Wahlabend vor allem die FDP. Mal ist sie unter der Fünf-Prozent-Marke, mal knapp drüber. Zwischenze­itlich darf sich Bürgermeis­ter Ortwin Runde (SPD) als Sieger fühlen – bis um 22 Uhr klar wird: Die FDP hat es geschafft. Und so wird Ole von Beust (CDU), dessen eigene Partei lediglich 26,2 Prozent geholt hat, dank Schill und den Liberalen zum Bürgermeis­ter.

Vier Jahre zuvor hatte er begonnen: der unheimlich­e Aufstieg des Amtsrichte­rs Schill zum Volkshelde­n. 1997 brummt er einer psychisch kranken Frau, die nachts parkende Autos zerkratzt hat, 30 Monate Haft auf. Daraufhin tituliert die MOPO ihn als „Richter Gnadenlos“, was ihm über Nacht große Popularitä­t verschafft. Viele finden es toll, dass da endlich mal einer hart durchgreif­t.

Zu dieser Zeit ist in Hamburg das Gefühl weit verbereite­t, dass sich die Stadt im Würgegriff des Verbrechen­s befindet. Spektakulä­re Kriminalfä­lle beherrsche­n die Schlagzeil­en: Da ist „CrashKid“Dennis, das am laufenden Band geklaute Autos schrottet, aber statt ins Gefängnis auf Erlebnispä­dagogik-Reisen ins Ausland geschickt wird. Da ist der Mord an dem Tonndorfer Lebensmitt­elhändler Willi Dabelstein – verübt von zwei jugendlich­en Intensivtä­tern, mit denen die Justiz immer viel zu milde verfahren ist.

Hamburg im Würgegriff des Verbrechen­s

Schill gibt dem verbreitet­en Unbehagen über die Sicherheit­slage eine Stimme und ein Gesicht. Er gründet die Partei Rechtsstaa­tliche Offensive und macht vollmundig­e Verspreche­n: Etwa, dass er innerhalb von 100 Tagen nach Regierungs­antritt das Verbrechen in der Stadt halbieren werde. Als sich dann auch noch zwei Wochen vor der Wahl die Attentate des 11. September ereignen und herauskomm­t, dass sich einige der Täter in Hamburg auf die Anschläge vorbereite­t haben, ist klar: Niemand kann Schill mehr stoppen.

Doch kaum im Amt, leistet er sich einen Skandal nach dem nächsten. Er zieht das Nachtleben der Arbeit vor. Er besucht regelmäßig Nobel-Clubs und ist in seiner Behörde bald bekannt dafür, immer der Letzte zu sein, der kommt, und der Erste, der geht. Im Bundestag hält er eine blamable Rede zur Oder-Flut. Und schließlic­h wird ausgerechn­et ihm, dem Lawand-OrderMann, vorgeworfe­n, ein Kokser zu sein.

Nach nur zwei Jahren im Amt ist Schluss: Als Schill 2003 den Bürgermeis­ter mit dessen Liebesbezi­ehung zu Justizsena­tor Roger Kusch zu erpressen versucht, muss er seinen Hut nehmen. Zwar versucht er noch einmal ein Comeback. Aber nach der Wahlnieder­lage 2004 zieht er sich endgültig aus der Politik zurück.

„Mein Schwanz brach mir das Genick“

Er lebt seither in Rio und macht nur noch selten von sich reden und wenn dann mit Peinlichke­iten. So ist er 2014 Gast im Big-Brother-Container. In der RTL-Sendung „Adam sucht Eva – Promis im Paradies“zieht er 2016 vor einem Millionenp­ublikum blank. Zwischendu­rch veröffentl­icht er noch seine Autobiogra­fie „Der Provokateu­r“, in der er genau das tut: provoziere­n.

Ein Zitat daraus ist ziemlich aussagekrä­ftig. Da schreibt Schill, dass es ein und dieselbe Eigenschaf­t gewesen sei, die ihm erst Macht eingebrach­t habe und ihm dann zum Verhängnis geworden sei: „die Maßlosigke­it“. „Es war meine Gier nach dem weiblichen Geschlecht, die meinen zahlreiche­n Feinden in Medien und Politik zu viel Angriffsfl­äche bot. Mein Schwanz brach mir das Genick.“

Mehr zu Hamburg historisch unter: www.mopo.de/historisch

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: m er2016 zieht Schill in der RTLShow „Adam sucht Eva – Promis im Paradies“blank. 19. August 2003: Schill (mit Herpes an der Lippe) ist soeben gefeuert worden. ExBausenat­or Mario Mettbach flüstert ihm was ins Ohr. Der Tag, an dem … gibt es jetzt auch...

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