Hamburger Morgenpost

Im Reich der Mitte verfolgt, im Westen wie ein Superstar gefeiert. Jetzt wird der Künstler 60!

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s kann passieren, dass man in Berlin plötzlich neben Ai Weiwei sitzt – in der Straßenbah­n, wenn der Star-Künstler seinen neunjährig­en Sohn zur Schule bringt. Auch im Asia-Supermarkt trifft man den stämmigen Chinesen manchmal, er trägt dann oft noch seine blaugraue Arbeitsklu­ft. Ai Weiwei lebt im Szeneviert­el Prenzlauer Berg, in Berlin-Mitte hat er sein Atelier. Vor zwei Jahren, nach seiner Verfolgung durch das Pekinger Regime, war Chinas berühmtest­er Künstler nach Deutschlan­d gezogen.

Morgen feiert der Bildhauer, Konzeptkün­stler und Menschenre­chtsaktivi­st seinen 60. Geburtstag – jedenfalls steht es so in seinem Pass, auch wenn andere Quellen den 19. Mai nennen. Sein wohl schönstes Geschenk hat Ai schon bekommen: Bei den Filmfestsp­ielen in Venedig ist seine Doku „Human Flow“über die globale Flüchtling­skrise für einen Goldenen Löwen nominiert. Am 1. September ist die Premiere – ein Ritterschl­ag. Ein Jahr lang ist Ai dafür um den Globus gereist, hat in 23 Ländern mit Menschen gesprochen, die wegen Hunger und Naturkatas­trophen, Krieg und Gewalt ihre Heimat verlassen mussten.

Heimatlosi­gkeit und Entwurzelu­ng sind auch in seinem eigenen Leben die prägende Erfahrung. Weil sein Vater, der chinesisch­e Dichter und Maler Ai Qing, wegen seiner Regimekrit­ik 20 Jahre lang aus Peking zwangsverb­annt ist, wächst der Junge in Chinas Randprovin­zen auf. Nach einem Studium in Peking lebt er zwölf Jahre in New York.

Zurück in Peking, gerät er als „soziales Gewissen“des Milliarden­volks zunehmend ins Visier der Behörden. Als er nach dem verheerend­en Erdbeben in Sichuan 2008 erkunden will, wie viele Kinder in eingestürz­ten Schulen durch Pfusch am Bau ums Leben kamen, wird er politisch zur Unperson. 2011 kommt er für 81 Tage in Haft, die Behörden behalten für Jahre seinen Pass ein. 2015 darf er endlich ausreisen – und Berlin ist sein selbstvers­tändlicher Zuf uchtsort: Sein Sohn und seine Lebensgefä­hrtin wohnen dort, er hatte die beiden schon ein Jahr zuvor aus Sicherheit­sgründen nach Deutschlan­d geschickt. Seither ist Ai Weiwei gefragt wie nie.

Wo sieht er seine Zukunft? „Für mich ist Berlin wie ein leeres Haus“, sagte er kürzlich. „Ich fühle mich wohl darin.“

 ??  ?? Selfie von der happy family: Ai Weiwei mit Wang Fen und dem gemeinsame­n Sohn Ai Lao In Florenz schuf der Künstler im vergangene­n Jahr eine Installati­on aus aufblasbar­en Rettungsbo­ten. Auch in Berlin ging’s ums Thema Flüchtling­e: Rettungswe­sten an den...
Selfie von der happy family: Ai Weiwei mit Wang Fen und dem gemeinsame­n Sohn Ai Lao In Florenz schuf der Künstler im vergangene­n Jahr eine Installati­on aus aufblasbar­en Rettungsbo­ten. Auch in Berlin ging’s ums Thema Flüchtling­e: Rettungswe­sten an den...
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