Warum stoppte niemand Erdogans Spion?
Mehmet Fatih S. (32) soll im Auftrag der türkischen Regierung Kurden bespitzelt haben. Jetzt geht der Fall vor Gericht
Von STEPHANIE LAMPRECHT
„Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit“: Sie klingt ein bisschen nach James Bond, die Anklage, die ab heute vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht verhandelt wird. Doch der Hintergrund ist ernst: Ein türkischer Spion soll Kurden in Deutschland ausgespäht haben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Türken Mehmet Fatih S. (32) vor, von September 2015 bis Dezember 2016 eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt zu haben. Seine Zielperson: Yüksel Koc, Bremer Kurdenaktivist und CoVorsitzender des Kongresses der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (KCDK-E). Für seine Agententätigkeit soll Mehmet Fatih S. 30 000 Euro vom türkischen Geheimdienst MIT erhalten haben. Der MIT ist seit einigen Wochen Präsident Erdogan persönlich unterstellt.
Die Anklage geht dem Kurdenpolitiker Koc nicht weit genug: „Der Angeklagte hat einen Mordanschlag auf mich geplant“, so Koc, das gehe aus einer SMS des Angeklagten hervor. Für eine entsprechende Anklage reichten der Bundesanwaltschaft jedoch die Beweise nicht.
Koc berichtet im Vorfeld des Prozesses, wie sich Mehmet Fatih S. als Journalist ausgegeben und sich sein Vertrauen erschlichen habe: „Er hat sogar meine Mutter in Kurdistan besucht.“Der türkische Agent marschierte bei Kurden-Demos mit, schwenkte Fahnen – und flog erst auf, als er seine kurdische Lebensgefährtin als Spionin anwerben wollte.
„Er gab sich als Journalist mit kurdischen Wurzeln aus.“Zielperson Koc 30 000 Euro soll der Agent für seine Spionage erhalten haben.
Agent und (noch ahnungslose) Zielperson: Mehmet Fatih S. (r.) interviewt den Kurdenpolitiker Yüksel Koc in Bremen. Wenig später wird der Spion enttarnt.
Auch die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Cansu Özdemir (Linke) ist offenbar im Visier von Erdogans Spähern. Sie schildert, dass der Agent auch ihren Vater aufgesucht habe: „Er äußerte den Wunsch, mich kennenzulernen.“Sie habe sich Ende 2016 deswegen an die Innenbehörde gewandt, die aber keinen Handlungsbedarf sah. Kurz darauf habe es einen Einbruch ins Fraktionsbüro gegeben. Yüksel Koc erhebt schwere Vorwürfe gegen deutsche Behörden. Rund 6000 Türken würden in Deutschland für den türkischen Geheimdienst spionieren, das Aufklärungsinteresse sei gering: „Auch Mehmet Fatih S. wurde nicht von deutschen Behörden enttarnt, sondern von uns.“
Der KCDK-E gilt als politischer Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und wird vom Verfassungsschutz beobachtet.