Ist dieser Richter faul oder nur gerechter als andere?
63-Jähriger ist den Chefs nicht schnell genug – und klagt aufs Recht, gründlich zu sein
Karlsruhe – Er arbeitet Vollzeit, schafft aber weniger als eine Halbtagskraft: Weil ein Richter seit Jahren deutlich weniger Fälle als seine Kollegen erledigt, wurde er ermahnt. Das will er sich nicht gefallen lassen – und zieht vor Gericht.
Seit Jahren arbeitet Thomas Schulte-Kellinghaus (63) als Richter am Oberlandesgericht (OLG) Freiburg – allerdings ist er deutlich langsamer als seine Kollegen. „Das Durchschnittspensum unterschreiten Sie seit Jahren ganz erheblich“, schreibt ihm Anfang 2012 die damalige Präsidentin des OLG Karlsruhe. Im Jahr 2011 habe er sogar weniger Verfahren erledigt als ein Halbtagsrichter im Durchschnitt.
Schulte-Kellinghaus will diese Ermahnung so nicht hinnehmen. Denn obwohl eine Prüfung ergeben hat, dass er 2008 bis 2010 nur 68 Prozent von dem geschafft hat, was seine Kollegen im Schnitt leisten, sieht sich der 63-Jährige nicht als Faulpelz. „Ich prüfe bestimmte Dinge mehr als andere Kollegen“, sagt er. Um sein Arbeitstempo beibehalten zu können, zieht er vor Gericht.
Hinter der Klage steckt auch die Frage: Darf einem Richter ein Erledigungspensum vorgegeben werden – oder verletzt das seine Unabhängigkeit? „Unabhängigkeit bedeutet nicht, dass jeder Richter tun und lassen kann, was er will“, sagt der Chef des Deutschen Richterbunds Sven Rebehn.
Schulte-Kellinghaus vermutet hinter der Ermahnung jedoch ein politisches Interesse: „Die Erledigungszahlen sollen steigen, damit Ressourcen eingespart werden können.“Tatsächlich fehlt es in der Justiz an Personal, das bestätigt auch der Richterbund.
Beim Klagen ist Richter Schulte-Kellinghaus jedenfalls fix. Er hat die OLG-Präsidentin auch gleich angezeigt, wegen des Verdachts der versuchten
Nötigung. Ermittelt wird deswegen nicht, zur allgemeinen Stimmung hat es aber nicht beigetragen. „Die Fronten sind verhärtet“, sagt er. Wenn nötig will der Richter bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen.