Der Tiefe
Zwei Hamburger tauchen minutenlang ab – und das ganz ohne Flasche. Die MOPO hat sie dabei begleitet
Von JANINA HEINEMANN
Tolga Taskin (27) und Lola Armbrust (21) bleibt oft minutenlang die Luft weg – und das mit Absicht. Denn die beiden sind Apnoe-Taucher, tauchen mit nur einem Atemzug viele Meter tief. Das Wichtigste dabei: Entspannung. Die MOPO hat die beiden begleitet.
Zwei Minuten unter Wasser zu sein, ohne zwischendurch Luft holen zu können – schon die Vorstellung löst bei den meisten Menschen Panik aus. Atmen ist ein menschlicher Automatismus, minutenlanges Luftanhalten für den Normalo eine Sache der Unmöglichkeit.
Dabei ist grundsätzlich jeder dazu in der Lage, sagt Freitauchlehrer Tolga Taskin (27), während er eine riesige Sporttasche aus dem Kofferraum wuchtet. „Ohnmächtig
wird man erst bei einer Sauerstoffsättigung von 60 Prozent, Sportler sogar erst bei 50 oder 40 Prozent“, erklärt er. Der Atemreiz setze allerdings bereits bei 98 Prozent ein. Der Körper spiele verrückt, weil er das Luftanhalten nicht gewohnt sei. Kurzum: Da ist eigentlich noch viel Luft, wenn die Luft wegbleibt.
In seinen Kursen bringt der 27-Jährige seinen Schülern bei, mit diesem unangenehmen Gefühl umzugehen. Das Zwerchfell zu kontrollieren, nicht hektisch zu werden.
Bestes Beispiel dafür, dass das Training wirkt, ist die Freundin des Freitauchers. „Ich hatte wahnsinnige Angst vor dem Tauchen“, sagt Lola Armbrust. Doch ihrem Freund zuliebe probierte sie es vor zwei Jahren aus. „Erst bin ich nur 30 Sekunden und einen Meter tief getaucht“,
„Unter Wasser höre ich meinen Herzschlag, kann entspannen.“Tolga Taskin (27), Freitaucher
sagt die zierliche Psychologiestudentin. Nach ein paar Trainingseinheiten im Schwimmbad sei sie plötzlich in ihrem Element gewesen und auf vier Meter runtergetaucht. Mittlerweile schafft Lola Armbrust sogar 20 Meter, ihr Freund war sogar schon in knapp 60 Metern Tiefe unterwegs. Heute geht es aber nur ein paar Meter tief, getaucht wird im Hohendeicher See. Grinsend packt Tolga Taskin die Sporttasche, drückt seiner Freundin Flossen in die Hand, greift noch zwei je sieben Kilogramm schwere Bleigürtel und schleppt alles zum Ufer. Während er seinen Neoprenanzug mit Seifenwasser innen glitschig macht („Sonst kommt man da nicht rein!“), erklärt er, dass Apnoe die „ursprünglichste Form des Tauchens“sei. Schon in der Steinzeit jagten Menschen auf diese Art Fische oder sammelten Meeresfrüchte. Auch heute gehen noch „Spearfisher“so mit Harpune auf Jagd. Das Taucherpärchen hat sich mittlerweile in die Neoprenanzüge gezwängt, Kopfhauben aufgesetzt, Handschuhe, Tauchmasken, und Flossen angezogen. Vollvermummt gleiten beide ins kalte Seewasser. Dort lassen sie sich auf dem Rücken treiben, entspannen
Mit Yoga-, Dehn- und Atemübungen bereiten sich die beiden Taucher an Land vor. ein paar Minuten. Das ist wichtig, damit der Puls möglichst langsam wird, das Zwerchfell entspannt und der Körper so wenig Sauerstoff wie möglich verbraucht. Schon an Land haben sich die beiden mit Yoga- und Dehnübungen auf den Tauchgang vorbereitet. Auf ein Zeichen holen beide tief Luft, drehen sich zur Seite und tauchen gerade nach unten ab.
Zwei Minuten bleiben sie unten. Tolga Taskin, der eigentlich Soziale Arbeit studiert und nebenbei seine Apnoe-Tauchschule betreibt, schafft bis zu sechs Minuten. „So lange geht das nur, wenn man statisch taucht, sich also möglichst nicht bewegt“, erklärt er. „Je mehr man sich bewegt, desto mehr Sauerstoff wird verbraucht.“Für ihn sei das Prozedere eine „unglaubliche Entspannung“.
Und dafür gibt es auch eine biologische Erklärung, wie Tolga Taskin betont. Tauchen Menschen ins Wasser ein, setzt ein bestimmter Reflex ein. Der Herzschlag wird langsamer, der Sauerstoffverbrauch auf die überlebenswichtigen Organe reduziert. „Ich bin ein sehr aufgedrehter Mensch, muss immer etwas machen und denken“, sagt Tolga Taskin. „Unter Wasser ist ein ruhiger Raum. Ich höre nur meinen Herzschlag, habe die Augen zu und kann runterkommen.“Er lächelt, als er das Gefühl beschreibt.
Zwar wird Apnoe seit etwa 50 Jahren als Leistungssport betrieben, doch diese Form lehnt Tolga Taskin ab. Ihn reizt die Entspannung, nicht der Wettkampf.
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