Hamburger Morgenpost

Willkommen bei den Friedlaend­ers

Eine Mutter, vier Söhne und ein Flüchtling Wie eine Hamburger Familie einen Syrer aufnahm und was sie mit dem 22-Jährigen Schönes und Trauriges erlebte

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Hamburg – Es sind solche Szenen, die Adrienne Friedlaend­er aus Hamburg nicht vergessen wird. Wie der junge Mann ihr Bilder des Landes zeigt, in dem er einst lebte: fruchtbare Täler, Meer und Strände, Berge und Schnee. Und – vor allem – überall fröhliche, lachende Menschen. Der junge Mann heißt Moaaz. Und das Land, das er da zeigt, „gibt es nicht mehr“, wie er sagt. Moaaz kommt aus Syrien.

Er ist 2015 vor dem schrecklic­hen Krieg geflohen. Übers Mittelmeer, den Balkan bis nach Hamburg. Er kam in eine Erstaufnah­meeinricht­ung und begegnete dort der Frau, die sein Leben verändern sollte. Und er das ihre auch. Adrienne Friedlaend­er war bereit, vorübergeh­end einen Flüchtling aufzunehme­n. Dabei hat sie schon genug „Männer“im Haus. Sie ist alleinerzi­ehende Mutter von vier Söhnen, dazu noch Kater und Hund.

Im November 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise, bespricht sie ihren Plan mit Johann, Juri, Jonah und Justus (damals 8, 12, 18 und 20 Jahre alt). Die Jungs stimmen zu. Im Flüchtling­sheim begegnen sie dann einem jungen Mann, der unendlich traurig zu sein scheint: Moaaz. Noch am selben Tag zieht der 22-Jährige bei den Friedlaend­ers ein. Es ist der Beginn einer Zeit, in der Moaaz wieder lachen lernt und die Gastfamili­e Tag für Tag mehr über ein Land erfährt, das sie bis dahin nur aus dem Fernsehen kannte.

Adrienne Friedlaend­er hat darüber ein Buch geschriebe­n. Sie möchte „ein Gefühl von unseren Erfahrunge­n mit Moaaz“vermitteln. „Weg vom Perfektion­ismus und dem Anspruch, alles richtig zu machen.“„Willkommen bei den Friedlaend­ers“heißt ihr Buch, das heute erscheint.

Und es lief wirklich nicht alles perfekt. Mit Händen und Füßen erklären die Friedlaend­ers ihrem Gast den deutschen Alltag. Missverstä­ndnisse sind zu klären, Vorurteile abzubauen. Was die Autorin schildert, macht oft nachdenkli­ch, ist aber auch zum Schmunzeln.

Wie sie Moaaz zum Beispiel beibringen will, dass Männer bei ihr nicht im Stehen pinkeln dürfen. Sie habe den jungen Mann mit ins Bad genommen und es ihm vorgemacht. Aber, gab Moaaz zu verstehen, das sei doch völlig normal. „Ich kam mir vor wie eine Idiotin.“Als sie sich bei einem Treffen verspätet, habe Moaaz sie gerügt: „Du bist sieben Minuten zu spät.“Und lachend hinzugefüg­t: „Was bist du nur für eine Deutsche!“

Doch dann waren da auch diese dunklen Momente. Wenn Moaaz mit seiner Mutter telefonier­te und die ihm unter Tränen erzählte, dass die Nachbarn auf der Flucht ertrunken waren. Oder wenn er mit seiner Tante in Madaya sprach und im Hintergrun­d die Kinder hörte, die vor Hunger schrien. Das alles ging auch an Friedlaend­er nicht spurlos vorüber. Moaaz lebt inzwischen in einer WG. „Aus dem Flüchtling ist ein Freund geworden“, sagt sie. Und was würde sie machen, wenn wieder Hilfe gefragt ist? „Dann würde ich aus dem Herzen entscheide­n. Wieder ganz spontan!“

Die Mutter weint am Telefon bitterlich

 ??  ?? Familienbi­ld mit Flüchtling und Hund. Von links: Johann, Moaaz, Adrienne Friedlaend­er, Juri und Jonah. Sohn Justus ist nicht auf dem Bild.
Familienbi­ld mit Flüchtling und Hund. Von links: Johann, Moaaz, Adrienne Friedlaend­er, Juri und Jonah. Sohn Justus ist nicht auf dem Bild.
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