Hamburger Morgenpost

Trauer um CDU-Ikone

Der streitbare Politiker starb mit 87 Jahren im Kreis seiner Familie.

- Von HARALD STUTTE

Heiner Geißler, einer der großen Charakterk­öpfe bundesrepu­blikanisch­er Politik, ist tot. Nach längerer Krankheit ließ sich der 87-Jährige aus dem Krankenhau­s in sein Haus in der pfälzische­n Gemeinde Gleisweile­r an der Südlichen Weinstraße bringen. „Zum Sterben“, wie er selbst formuliert­e und voraussah. Geißler war einer der letzten maßgeblich­en Gestalter der politisch brisanten 70er und 80er Jahre – Parteifreu­nd, Gefolgsman­n, später Gegenspiel­er Helmut Kohls.

Rheinland-Pfalz in den 60er Jahren: Wie ein Pfalzgraf regiert der etwas behäbige Landesvate­r Peter Altmeier das konservati­v geprägte Land. Da taucht in der Landes-CDU ein Jungpoliti­ker auf, greift selbstbewu­sst nach der Macht: Helmut Kohl. In der Tasche hat er eine Art „Masterplan“, zudem baut er auf loyale Mitstreite­r, die ihm ergeben sind.

Eine Schlüsselr­olle in Kohls „Drehbuch“spielt ein ehemaliger JesuitenNo­vize, Burschensc­haftler und promoviert­er Jurist: Heiner Geißler. Kohl bittet seine Vertrauten, Bernhard Vogel und Heiner Geißler, das Kabinett Altmeier „zu unterwande­rn“. Vogel tritt als Kultus-, Geißler als Sozialmini­ster ein. Den jungen Wilden gelingt das Kunststück, Altmeier aufs Altenteil zu schicken. Doch für Kohl ist die Mainzer Staatskanz­lei nur Etappenzie­l auf seiner KarriereRe­ise, die im Bonner Kanzleramt enden soll.

Konsequent­erweise holt Kohl, inzwischen längst Chef der Bundes-CDU, Geißler als CDU-Generalsek­retär im Juni 1977 nach Bonn. Ein Jahr nach seiner knapp verlorenen Bundestags­wahl. Geißler gibt diesem Amt, bis dato mehr „Sekretär“als „General“, mehr Gewicht. Bissig, aggressiv, persönlich verletzend attackiert er, nennt die SPD „fünfte Kolonne Moskaus“. Geißler sei „seit Goebbels der schlimmste Hetzer in diesem Land“, keift Willy Brandt zurück.

Als Kohl 1982 Kanzler wird, folgt Geißler seinem Mentor erneut, wird Familienmi­nister. Ein Wendepunkt, denn im Kabinett lernt er die Schattense­iten des Machtmensc­hen Kohl kennen. Er bleibt zwar „General“, wird aber nie Parteisold­at. Die Entfremdun­g zu Kohl gipfelt im September 1989 – mit Lothar Späth, Rita Süssmuth, Norbert Blüm putscht Geißler auf dem Bremer Parteitag gegen den Führungsku­lt des „Erzübels Kohl“. Sie scheitern, überrollt von der Geschichte, dem Fall der Mauer. Kohl rächt sich. „Der Mann macht mich krank, ich kann ihn nicht mehr ertragen“, sagt er über den untreu gewordenen Vasallen.

Viele Menschen werden im Alter hart, unnachgieb­ig, konservati­v. Geißlers Reise geht jedoch in die entgegenge­setzte Richtung. Er bewährt sich zunächst als Schlichter in Tarifkonfl­ikten. Später wird er zum Öko-Pazifisten, Globalisie­rungskriti­ker, Emanzipati­onsverteid­iger, Kirchenkri­tiker. Er bringt sich ein, wird gern gefragt – wird zum wichtigen und klugen Impulsgebe­r in gesellscha­ftlichen Debatten, respektier­t von Jung und Alt.

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Viele Menschen werden im Alter hart und konservati­v – Geißler links und ökologisch.
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