Hamburger Morgenpost

Mammut-Jäger: Elfenbein aus dem Eis

In Nordsibiri­en herrscht Goldgräber­stimmung. Hunderte Brigaden suchen nach den Stoßzähnen längst ausgestorb­ener Rüsseltier­e

- Von STEFAN SCHOLL

Die Männer sind tagelang unterwegs, zu Fuß, in Holzbooten, in sumpftaugl­ichen Kettenfahr­zeugen. Ihr Erfolg hängt davon ab, wie viele Kilometer sie am Tag bewältigen, wie scharf ihre Augen sind, von ihrem Gefühl. Manche schlagen mit Stöcken ins Wasser und entscheide­n je nach Geräusch, ob wohl ein Stück geschwunge­nen Elfenbeins aus dem Grund ragt.

In Nordsibiri­en wird Jagd auf längst ausgestorb­ene Rüsseltier­e gemacht: Auf Mammuts und ihre Stoßzähne. Hunderte Brigaden suchen in Jakutien, auf den Halbinseln Jamul und Tschukotka nach dem „weißen Gold“. Russische Händler zahlen für das Elfenbein der vorzeitlic­hen 15-Tonner Kilopreise von umgerechne­t 360 Euro. Und ein Zwei-Meter-Stoßzahn wiegt über 80 Kilo. Ein 30 000 Euro-Fund.

Aber die Suche in der langsam auftauende­n Permafrost­tundra Nordsibiri­ens ist teuer und mühselig. Wie der Elfenbeing­räber Alexander Popow der Nachrichte­nagentur Tass sagte, kostet eine achtwöchig­e Suchexpedi­tion umgerechne­t mindestens 7000 Euro: für Gerät, Benzin, Lebensmitt­el und Ersatzteil­e. „Viele verpfänden ihre Häuser, um auf Mammutsuch­e gehen zu können.“Im Winter transporti­eren Jäger Proviant und Ausrüstung auf Motorschli­tten über die festgefror­enen Sümpfe nach Norden. Im Sommer kommen die Suchtrupps, meist 15 bis 20 Mann, in Hubschraub­ern oder in Motorboote­n, ihre oft schrottrei­fe Technik immer wieder selbst reparieren­d.

Wo jemand das Ende eines Stoßzahnes entdeckt, werden in Booten Dieselgene­ratoren, Feuerwehrs­chläuche

und Hochdrucks­pritzen herangesch­afft, um die Erde wegzuspüle­n. Ist der Boden gefroren, schleppt man Holzöfen herbei, um Wasser zu erhitzen und die Erde mit Dampf aufzuweich­en.

„Du musst Mut haben“, erklärte ein Stoßzahngr­äber französisc­hen TV-Journalist­en. „Die Ufer hier sind sehr steil, beim Ausspülen können 10 bis 20 Tonnen Erde auf dich herabrutsc­hen.“Lebensgefa­hr, Gier und Misstrauen produziere­n Goldrausch­stimmung, nach Aussagen der Mammutjäge­r sind Prügeleien an der Tagesordnu­ng.

Inzwischen schätzen Experten, dass allein in Jakutien jährlich 60 Tonnen Stoßzähne umgeschlag­en werden. Vergangene­s Jahr erteilten die Behörden dort 78 Lizenzen zur Suche nach Mammutelfe­nbein. Aber nach Ansicht von Insidern läuft ein Großteil der Suche und des Handels illegal, an der Grenze zu China werden immer wieder Schmuggler mit Hunderten Kilo Stoßzähnen festgenomm­en. Der Jakutsker Mammutfors­cher Albert Protopopow rechnet mit einem jährlichen Schaden von umgerechne­t 22 Millionen Euro.

Auch der Großteil des legalen Exports geht nach China: „Die Chinesen bestimmen die Preise, es gibt dort eine ganze Handwerksb­ranche, die Figuren aus dem Elfenbein herstellt“, sagt Witali, ein Händler auf dem Moskauer Markt; man nehme für ihre Stoßzähne schon knapp 1 100 Euro pro Kilo. Und das mit gutem Gewissen. „Wir arbeiten“, versichert Witali, „damit die Wilderer in Afrika weniger Elefanten umbringen.“Russlands „Mammutjäge­r“mögen mühsam, gefährlich und oft illegal leben, aber ausrotten werden sie niemanden mehr.

 ??  ?? Mann mit Mammut: Ein Glücksritt­er mit seiner Beute am Fluss Kolyma nahe der Stadt Tscherski im nördlichen Jakutien.
Mann mit Mammut: Ein Glücksritt­er mit seiner Beute am Fluss Kolyma nahe der Stadt Tscherski im nördlichen Jakutien.
 ??  ?? Mammut in Öl: So wie auf diesem Bild könnten die Tiere ausgesehen haben.
Mammut in Öl: So wie auf diesem Bild könnten die Tiere ausgesehen haben.
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