Wir waren Mädchen
Die bewegende Geschichte von Marino (23) und Fabian (30), die im falschen Körper geboren wurden
Ihnen wachsen Barthaare, ihre Stimmen werden tiefer und ihre Muskeln wachsen: Marino und Fabian sind mitten in der Pubertät – dabei sind sie schon 23 und 30 Jahre alt. Bis vor Kurzem hießen sie außerdem noch Mariko und Cindy, doch in ihren Frauenkörpern haben sich die beiden nie richtig gefühlt. Die Geschichte einer Verwandlung.
Der NDR hat die beiden über anderthalb Jahre auf diesem Weg begleitet. Marino und Fabian verbindet nicht nur ihr Schicksal, nicht im „richtigen“Körper zur Welt gekommen zu sein. Sondern auch ihre Leidenschaft für den Fußball. Beide kickten in Hamburg bei Grün-Weiß Eimsbüttel in unterschiedlichen Frauenmannschaften. Sie lernten sich kennen, nachdem Fabian, da noch Cindy, sich in seinem Team outete. Das war im Dezember 2015, Fabian war damals 28 Jahre alt.
Und bei ihm begann da gerade das körperliche Mann-Werden: Am Anfang der sogenannten Angleichung steht eine Testosteron-Therapie. Das „Männlichkeitshormon“lässt Barthaare und Muskeln sprießen, außerdem wird die Stimme tiefer. Im Grunde eine zweite Pubertät, die die Betroffenen durchleben. Dauer: vier bis sechs Jahre.
„Das ist echt aufregend“, sagt Marino etwas schüchtern grinsend. „Ich gucke auf einmal ständig, wie ich auf Mädchen wirke.“Er geht regelmäßig ins Fitnessstudio, tut alles, um so schnell wie möglich einen männlichen Körper zu bekommen. Fabian ist da schon einen großen Schritt weiter. Anfang August unterzog sich der Transgender-Mann, der als Lehrer arbeitet, einer BrustOP.
„Ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht, bevor ich meinen Schülern meine Geschichte eröffnet habe“, erinnert sich der 30Jährige. Er hatte Glück: Die Kinder waren sehr offen, haben mit der Umstellung kein Problem.
Gerade beim Job ist der Geschlechterwechsel aber oft ein brisantes Thema: Nach Schätzungen sind vor 30 Jahren gerade mal zehn Prozent der Arbeitnehmer nach dem Outing im Job geblieben – heute sind es immerhin bis zu 60 Prozent. Zu diesen 60 Prozent gehören beide – denn auch Marino arbeitet weiterhin in seinem Schusterbetrieb und erfährt dort Unterstützung von allen. Wie auch von seiner Mutter. „Für mich völlig klar“, sagt sie, „das habe ich von Anfang an gesagt. Er bleibt ja mein Kind.“
Marino und Fabian ha-
Fabian ist Lehrer. Seine Schüler hat er in seine Geschichte eingeweiht.
ben es also geschafft, ihren Weg selbst zu bestimmen – nicht selbstverständlich. Denn: Laut Experten gibt es in Deutschland etwa 80 000 Menschen, die sich mit ihrem Geschlecht nicht wohlfühlen. Und: In Hamburg lassen sich jährlich nur um die 50 Menschen zu Frau – oder zu Mann angleichen.
„Für mich war es sehr hilfreich, Fabian zu kennen, dem ich meine Fragen offen stellen konnte“, sagt Marino.
Denn der Weg zum anderen Geschlecht ist beschwerlich: Häufige Gänge zu Therapeuten und Ärzten, alle zwei Wochen Hormonspritzen. „Das braucht alles viel Geduld“, weiß Fabian. Dazu der Weg zum Amtsgericht. Erst Richter entscheiden nämlich, ob Marino und Fabian sich nicht nur als Männer fühlen – sondern sich auch offiziell so nennen dürfen. Erst dann steht im Ausweis Herr statt Frau, die beiden können sich ihre neuen Namen aussuchen. Das haben sie inzwischen hinter sich. „Am wichtigsten ist aber ohnehin, wie wir uns selbst fühlen“, meint Fabian. Es ist ein langer Weg, ein Mann zu werden. Und auch nach knapp zwei Jahren Pubertät dauert es noch, bis Marino und Fabian am Ende dieses Weges angekommen sind. „Am Ziel bin ich erst“, sagt der Ältere der beiden mit einem Lächeln auf den Lippen, „wenn ich irgendwann vergesse, dass ich mal Cindy hieß – und nicht immer Fabian.“