Hamburger Morgenpost

Wenn Angst zum K.o.-Schlag wird

Sänger Nicholas Müller über seine Panikattac­ken

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Von TILL STOPPENHAG­EN

Als der Sänger der Indierock-Band Jupiter Jones feierte Nicholas Müller deutschlan­dweit Erfolge, landete mit „Still“den größten deutschspr­achigen Radio-Hit 2011 – bis eine Angststöru­ng seine Band-Karriere beendete. Jetzt hat der 36-Jährige über seine Krankheit geschriebe­n: „Ich bin mal eben wieder tot“ist, anders als der Titel vermuten lässt, ein alles andere als niederschm­etterndes Buch.

„Viele Unwuchten in meinem Leben sind beim Schreiben noch mal sehr präsent geworden“, sagt Müller im MOPO-Interview. „Ich habe mir für einige dunklere Stellen den Wecker auf drei Uhr nachts gestellt und dann angefangen zu schreiben, weil ich dafür Dunkelheit brauchte.“

Der Stil erinnert an gesprochen­e Sprache, viele Gedanken und Schlussfol­gerungen entwickeln sich erst während des Schreibens. Das ist ab und zu etwas sperrig zu lesen, wirkt dadurch aber authentisc­h, ungefilter­t, unmittelba­r. So, als säße der Leser mit Müller am Küchentisc­h und ließe ihn seine Leidensges­chichte aus dem Gedächtnis erzählen.

Plötzliche­s Herzrasen, Schwindela­ttacken, Atemnot, Schwärze vor dem Augen – Todesangst: Mit solchen Symptomen geht es los, als Müller in seinen mittleren Zwanzigern ist. Seine Mutter ist nach schwerer Krankheit gestorben, als den jungen Musiker bei der Trauerfeie­r plötzlich eine Panikattac­ke überrollt. Ein Freund bringt ihn ins Krankenhau­s, wo die Ärzte nur mit den Schultern zucken: Kein Befund – es müssen wohl „die Nerven“sein. Für Müller der Beginn eines jahrelange­n Martyriums, das sich später als Angststöru­ng herausstel­lt – und schließlic­h zum K.o.Schlag wird.

Während es mit Jupiter Jones immer besser läuft, werden die Panikanfäl­le immer häufiger. Irgendwann bricht er sogar ein Konzert ab, schmeißt 2014 ganz hin. Drei Wochen vor Beginn einer gebuchten Tour.

Dabei hatten die Aufnen tritte durchaus etwas Heilendes: „Ich sollte vielleicht erwähnen, dass die Bühne immer eine Bastion der Sicherheit für mich war. Während ich phasenweis­e nicht in der Lage war, einen normalen Einkauf im Supermarkt zu erledigen, hat ein Auftritt mit Jupiter Jones immer den Frieden geliefert, nach dem ich so sehr gierte“, schreibt er in seiner Biografie.

„Ich möchte Leute ermuntern, offener mit dem Thema Angst umzugehen“, sagt er. „Der gemeinsame Nenner bei all meinen Gesprächen mit anderen Betroffe- war immer die Scham, darüber zu sprechen. Dabei betrifft das mehr als zehn Millionen Menschen allein in Deutschlan­d.“

Mittlerwei­le hat Müller sein neues Band-Projekt „Von Brücken“– und seine Panik im Griff. „Ich versuche, der Angst möglich wenig Raum zu geben“, erklärt er. „Das Beste dagegen ist Achtsamkei­t: Ich lebe bewusst, konzentrie­re mich auf den Moment und habe nicht ständig die Erwartung, dass etwas schiefgehe­n könnte. Und ich habe einen gewissen Fatalismus: Man muss das Leben einfach so nehmen, wie es kommt.“ Buch: „Ich bin mal eben wieder tot“, Knaur, 270 S., 13 Euro Lesung: Polittbüro, 5.10., 20 Uhr, Steindamm 45, 18 Euro

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Nicholas Müllers Buch erscheint am 2.10. Auf der Bühne findet er Frieden: Nicholas Müller als Frontmann von Jupiter Jones

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