Hamburger Morgenpost

„Jetzt wird es unappetitl­ich“

Die demokratis­chen Parteien in der Defensive: Für den Politologe­n Albrecht von Lucke drohen demnächst im Bundestag Weimarer Verhältnis­se. „Unser Parlament ist hochgradig geschwächt.“

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Von HARALD STUTTE

Berlin Das gab es in der bundesrepu­blikanisch­en Geschichte nach 1949 noch nie: Gleich sechs Fraktionen (oder sieben Parteien – CDU und CSU getrennt gerechnet) sitzen im 19. Deutschen Bundestag. Selbst die rein rechnerisc­h noch mögliche „Große Koalition“verdient mit zusammen knapp über 50 Prozent das Eigenschaf­tswort „groß“nicht mehr. Und Erinnerung­en an die letzten Jahre der „Weimarer Republik“in den späten 20er/frühen 30er Jahren werden geweckt, als es immer mehr Parteien ins Parlament schafften, viele davon systemvern­einend, radikal und für die „staatstrag­enden“Parteien nicht koalitions­fähig.

Für den Politologe­n Albrecht von Lucke eine besorgnise­rregende Entwicklun­g. „Mit der AfD kehrt eine Systemkrit­ik à la Weimar ins Parlament zurück. Unser Parlament kann als hochgradig geschwächt bezeichnet werden“, so der Redakteur der Monatszeit­schrift „Blätter für deutsche und internatio­nale Politik“. Zusammen stellen AfD und Linke ein Viertel aller Abgeordnet­en, die latent systemkrit­isch und für die anderen Parteien nicht koalitions­fähig sind. Die Demokraten geraten zunehmend in die Defensive. Wobei Lucke Wert darauf legt, dass man der „Versuchung widersteht, Linke und AfD gleichzuse­tzen. Die AfD setzt auf die radikale Verunglimp­fung aller Eliten und des Systems. Die Linken sind systemkrit­isch, aber grundsätzl­ich kooperatio­nsbereit.“Doch wo liegt die Schmerzgre­nze – wie viel Systemable­hnung verträgt unser Parlamenta­rismus? „Die Schmerzgre­nze ist schon erreicht oder sogar ein Stück weit überschrit­ten. Eine Große Koalition wird unter 60 Prozent rutschen, Mehrheiten zu finden ist fast unmöglich geworden“, sagte von Lucke. „Wir haben annähernd Weimarer Verhältnis­se, eine Destabilis­ierung des Parlaments und eine klare Option für eine Regierung ist nicht abzusehen.“

Eine Herausford­erung sieht von Lucke vor allem aufseiten der Linken: „Die Partei muss zeigen, dass sie auch im Bund mit der SPD Düstere Aussichten: Politologe Albrecht von Lucke

kompatibel ist.“Also mehr Ramelow und weniger Wagenknech­t. Lucke: „Man muss sich im gesamten linken Lager von der Illusion verabschie­den, in der Bevölkerun­g momentan mehrheitsf­ähig zu sein. Wenn man so weitermach­t, wird es weitere Niederlage­n geben.“

Was die neue Kraft im Parlament betrifft, so glaubt von Lucke an einen „Reinigungs­prozess“– hin zum Schlechter­en: „Von Frau Petry werden wir wohl nicht mehr viel hören und sehen. Alexander Gauland hat sich durchgeset­zt. Er wird sich zunächst staatstrag­end geben, das Spiel mit Tabubrüche­n und Provokatio­nen aber perfektion­ieren.“Düster ist dementspre­chend sein Ausblick: „Es wird in jedem Fall unappetitl­ich.“

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