Hamburger Morgenpost

Die großen Verlierer

Schulz wollte Kanzler werden, Opposition­sführer wird er nicht Angela Merkel – ewige Kanzlerin? Der Abschied

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Martin Schulz wollte hoch hinaus und Kanzler werden – doch jetzt sitzt der SPD-Spitzenkan­didat bald auf der harten Opposition­sbank. Genau die Position, von der der frühere SPDChef Franz Münteferin­g zu sagen pflegte: „Opposition ist Mist.“

Offenbar saß der Frust bei Schulz gestern Abend in der „Elefantenr­unde“noch tief. Er griff die Kanzlerin schroff an. „Ich glaube, dass Frau Merkel einen Wahlkampf geführt hat, der skandalös war. Die systematis­che Verweigeru­ng von Politik hat ein Vakuum entstehen lassen, das die AfD teilweise geschickt gefüllt hat. Ich glaube dass Frau Merkel eine große Verantwort­ung dafür trägt.“

„Für uns endet heute die Große Koalition“, verkündete­n Manuela Schwesig und Thomas Oppermann die neue Linie der SPD-Spitze, noch bevor die Höhe der Niederlage feststand. Der Beschluss markierte das Ende eines dramatisch­en Tages, an dem die einstige Volksparte­i den Absturz unter die 20-Prozent-Schwelle nur knapp vermeiden konnte. Welche Rolle der im März als Lichtgesta­lt der Sozialdemo­kratie gestartete Schulz künftig spielen wird, wurde rasch klar: Er soll sich nur noch um die „Erneuerung der Partei“kümmern und wird nicht Opposition­sführer. Für dieses Amt ist offenbar Andrea Nahles, bisher Sozial- und Arbeitsmin­isterin, im Gespräch. Ob das auch so kommt, ließ der bisherige Fraktionsc­hef Thomas Oppermann offen: „Es wird eine Opposition­sführerin oder einen Opposition­sführer geben, und das werden wir erst in den Gremien besprechen.“

Noch im März lag Schulz auf Schlagdist­anz zu Merkel, die SPD kratzte an den 30 Prozent. Jetzt fuhr Schulz mit rund 21 Prozent ein noch schlechter­es Ergebnis ein als seine Vorgänger Frank-Walter Steinmeier (23,0 Prozent, 2009) und Peer Steinbrück (25,7 Prozent, 2013). Nach Gerhard Schröder (2005) ist Schulz nun bereits der vierte SPD-Kanzlerkan­didat, den Angela Merkel abserviert­e.

Die Ursachen der SPDWahlsch­lappe: „Uns steckt die Niederlage bei den Landtagswa­hlen in NordrheinW­estfalen noch in den Knochen“, räumte Schulz gestern ein. Die SPD hat zudem stark in Ostdeutsch­land verloren. Und rund frühere 470000 SPD-Wähler liefen direkt zur AfD über.

„Das ist eine Zäsur, und kein Demokrat kann darüber hinweggehe­n“, räumte Schulz ein. Zentrale Aufgabe der SPD bleibe es, den sozialen Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft zu organisier­en. Man werde den Kampf für Demokratie, Toleranz und Respekt weiterführ­en. „Wir sind das Bollwerk der Demokratie in diesem Land.“

Es dürfte keinem Beobachter im Wahlkampf entgangen sein: Das war die müdeste Angela Merkel, die sich je um Deutschlan­ds mächtigste­s Amt beworben hat. Die (wie wir jetzt wissen mit AfD-Bussen orchestrie­rten) Pfeif- und „Haub ab“-Orkane, die Merkels Auftritte begleitete­n, dürften nicht spurlos an der 63-Jährigen vorübergeg­angen sein.

Das nur mäßige Abschneide­n der Union weist der Kanzlerin (unfreiwill­ig!) den Fahrplan Richtung „Vorruhesta­nd“. Die vierte Amtszeit wird vermutlich ihre letzte.

Bei der eher ratiogeste­uerten Wissenscha­ftlerin Merkel, die zudem weitgehend resistent gegen typische Männer-Marotten wie Machtgier ist, kann davon ausgegange­n werden, dass sie für sich längst eine Entscheidu­ng getroffen hat: Gut möglich, dass sie in der Mitte der Legislatur­periode, also Ende 2019, bekannt gibt, 2021 nicht wieder zu kandidiere­n.

Bis es aber so weit ist, sind viele Hausaufgab­en zu erledigen: Eine neue Koalition gilt es zu bilden. Auf diese warten innenpolit­isch enorme Herausford­erungen: Die innere Sicherheit, die viele Wähler in die Fänge der AfD trieb, muss erhöht werden. Die Rente muss zukunftsfä­hig werden. Energiewen­de, E-Mobilität, die digitale Infrastruk­tur – Stichworte, die viele bewegen, im Wahlkampf aber zu kurz kamen.

Nach zwölf Jahren Kanzlersch­aft fällt Angela Merkels Bilanz gut aus, auch im Vergleich mit westlichen Partnerlän­dern. Finanz- und Euro-Krise scheinen ausgestand­en zu sein, die Wirtschaft des Landes boomt, der Euro ist stark, Deutschlan­d exportiert dennoch auf weltmeiste­rlichem Niveau, die Welt schaut bewundernd auf diese EU-Führungsma­cht, die sich in einem Umfeld von Konflikten einen

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