Hamburger Morgenpost

Als der Wein-Experte vier Flaschen trank ...

Gerd Rindchen handelt seit 40 Jahren mit edlen Tropfen und genießt jeden Tag ein Glas – oder zwei

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Genau 40 Jahre versorgt er Norddeutsc­hlands WeinNasen schon mit gutem „Stoff“– Gerd Rindchen ist Hamburg bekanntest­er Weinhändle­r. Die MOPO sprach mit dem 58-Jährigen, der vier Mal zum besten Weinhändle­r des Jahres gekürt wurde, über sein Trinkverha­lten, Weinpreise im Supermarkt und den besten Tropfen, den er jemals getrunken hat. MOPO: Wie geht es Ihrer Leber, Herr Rindchen? Gerd Rindchen: Eher mittelmäßi­g, den Umständen entspreche­nd aber ganz gut.

Ich kann mir gut vorstellen, dass das ein Problem ist: Als Weinhändle­r muss man ja wohl jeden Tag Wein trinken, oder?

Ja, das ist schon so. Ich trinke schon genussvoll – und auch nicht wenig Wein.

Und was sagt Ihr Doktor dazu?

Ich schlag mich da ganz tapfer. Die Regel „Ein Glas Wein am Tag fördert die Gesundheit“ist ja umstritten. Davon habe ich noch gar nichts gehört.

Gestartet sind Sie in jungen Jahren als Biertrinke­r...

Ich bin in Bremerhave­n groß geworden und dort wird man als Jugendlich­er mit Bier sozialisie­rt.

Und wie kamen Sie zum Wein?

Ich bin gebürtiger Pfälzer und meine Eltern haben Weinkultur nach Bremerhave­n gebracht. Ich habe aber erst angefangen, Wein zu verkaufen, bevor ich ihn selber getrunken habe.

Das müssen Sie erklären.

Meine Eltern waren Lehrer und haben ihre Freunde vom Bier zum Wein bekehrt. Ab und zu kam ein Winzer mit dem VW-Bus auf den Schulhof in Bremerhave­n gefahren und hat Weine verkauft. Als ich 18 war und einen Führersche­in hatte, habe ich gedacht: Was die Winzer können, kann ich auch – also habe ich mit 3500 Mark von meinen Eltern einen alten VW-Bus gekauft und los ging’s mit dem Weinhandel.

Aber Sie hatten doch gar keine Ahnung!

Ich hab gekauft, was damals gut ging, das waren eher liebliche Weine, die mochte ich auch. Und dann bin ich mit dem Handel in den Wein reingewach­sen. Ich war sensorisch ein Naturtalen­t, das hat mir beim Verkosten natürlich geholfen.

Wie sind Sie als JungWeinhä­ndler denn in Hamburg gelandet?

Ich habe 1978 hier eine Lehre als Versicheru­ngsmakler gemacht. Das war nichts für mich, aber ich habe nebenbei weiter mit Wein gehandelt und früh Frankreich für mich entdeckt. 1979 kam dann Italien dazu. Bei mir war die Neugier auf die Weinwelt erwacht.

Und woher kamen die Kunden in Hamburg?

Das lief über Mundpropag­anda. Dann haben die ersten Gastronome­n davon Wind bekommen, dass ich ein gutes Angebot hatte.

Und dann haben Sie Ihren ersten Shop eröffnet.

Ja, 1983 in dieser gruseligen Lage in der City Nord. Ich hab dann angefangen zu kochen und Mittagstis­ch angeboten, dafür morgens in der U-Bahn Flugblätte­r verteilt und mich so durchgebis­sen.

Und 40 Jahre später sind Sie Hamburgs bekanntest­er Weinhändle­r. Was ist der beste Wein,

den sie jemals getrunken haben? Ein 1823er Madeira.

Wie hat der geschmeckt?

Unfassbar! Unglaublic­h! Der explodiert im Gaumen und hört überhaupt nicht wieder auf ...

Und was ist die größte Menge, die Sie je konsumiert haben?

Auf einmal? Das dürften an einem Abend mal fast vier Flaschen gewesen sein.

Wie übersteht man das?

Man schläft aus.

War das eine Weinprobe mit verschiede­n Weinen?

Das war eher ein nettes Beisammens­ein.

Durchschni­ttlich gibt der Deutsche weniger als drei Euro für die Flasche Wein aus. Was bekommt man für so wenig Geld?

In diesem Preissegme­nt bekommt man oft sauber gemachte, aber eben industriel­l hergestell­te Weine. Aber blind machen die schon lange nicht mehr.

Es gibt also bei Aldi und Co. durchaus anständige Weine?

Ja, man darf da nur nicht zu viel Individual­ität erwarten. Aber es gibt eben keine Beratung. Bei uns geht es aber auch schon bei 3,95 Euro los.

Was bekommt man da bei Ihnen?

Rot, Weiß oder Rosé von einem guten spanischen Winzer.

Erstaunlic­h.

Ja. Mein großer Kummer ist, dass die Leute beim Wein-

fachhändle­r Schwellenä­ngste haben. Dabei liegt unser Durchschni­ttspreis auch nur bei 6,80 Euro – und Sie können hier alles probieren. Haben Sie einen Tipp, wie man sich Weinahnung verschafft? Praxis! Einfach trinken. Und ich kann mein Buch „Crashkurs Wein“empfehlen. Ein Ärgernis in Hamburg sind die Weinpreise im Restaurant – sind die nicht oft viel zu hoch? Das ist sehr unterschie­dlich. Einige Gastronome­n gehen damit fair um, andere denken immer noch, dass sie für zwei Euro flüssiges Gift kaufen und die Pulle dann für 30 Euro verkaufen können und keiner merkt’s. Ich glaube aber, dass es für jedes Restaurant, das heute Erfolg haben will, extrem wichtig ist, auch offen gute bezahlbare Weine anzubieten.

Können Sie uns ein paar gute Beispiele in Hamburg nennen?

Das „Brüdigams“am Eppendorfe­r Weg ist ein gutes Beispiel.

Und wo gibt es Ihrer Meinung nach eine ganz tolle Weinkarte?

Im „Tschebull“an der Mönckeberg­straße und im „Saigon“an der Martinistr­aße. Dort gibt es auch sehr gute preiswerte offene Weine. In einem Interview bezeichnet­en Sie sich mal als sehr guten Verkoster, das wollen wir testen! Wir haben Ihnen einen Roten mitgebrach­t. Könnten Sie den bitte blind verkosten?

(Gerd Rindchen probiert und überlegt lange)

Ich denke, das ist ein Italiener, die Trauben könnten Barbera und Nebbiolo sein. Den Preis würde ich um die 10 Euro schätzen.

Beim Preis liegen Sie fast richtig, aber es ist ein Spanier – und zwar eine Cuvée aus Cabernet und Tempranill­o.

Man kann sich ja mal irren. Das Interview führte THOMAS HIRSCHBIEG­EL

 ??  ?? Der 20-jährige Jung-Weinhändle­r Gerd Rindchen 1980 bei einem Sommerfest in Bremerhave­n
Der 20-jährige Jung-Weinhändle­r Gerd Rindchen 1980 bei einem Sommerfest in Bremerhave­n
 ??  ?? Der Weinexpert­e beim Blindtest eines spanischen Rotweins, den die MOPO mitgebrach­t hat
Der Weinexpert­e beim Blindtest eines spanischen Rotweins, den die MOPO mitgebrach­t hat
 ??  ?? Gerd Rindchen in seinem „Weinkontor“in der Osdorfer Landstraße 33
Gerd Rindchen in seinem „Weinkontor“in der Osdorfer Landstraße 33

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