Hamburger Morgenpost

Das ist der Vermieter der Kakerlaken Hölle

Harburg Die MOPO stellt Volker F. (76) zur Rede. Er findet: Mit dem Haus in der Seehafenst­raße ist alles in bester Ordnung

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Von OLAF WUNDER

Volker F. (Name geändert) ist 76 Jahre alt, vermietet wunderschö­ne Ferienhäus­er auf Usedom, außerdem Garagen, Lagerhalle­n und Gewerbeimm­obilien in Hamburg – alles über das Internetpo­rtal Immonet zu finden. Auf den ersten Blick ein hanseatisc­her Kaufmann, wie man so schön sagt. Aber der Schein trügt: F. ist auch Besitzer des Hauses Seehafenst­raße 9, einer Bruchbude, über die die MOPO seit Tagen berichtet. Und sie ist mutmaßlich das Objekt, mit dem er am meisten Reibach macht.

Küchenscha­ben gibt es in praktisch jedem Raum, außerdem sollen sich Ratten tummeln. Die Wohnungen in dem Gebäude, das in einem Industrieg­ebiet in Harburg steht, wären normalerwe­ise unvermietb­ar – wenn es nicht so viele arme Teufel gäbe, die in jedes Loch einziehen. Einziehen müssen. Denn ihnen bleibt sonst nur eine Brücke.

Inzwischen gibt es in Großstädte­n wie Hamburg viele Immobilien­besitzer, die dieses Geschäftsm­odell betreiben: Sie vermieten ihre Bruchbuden zimmerweis­e gezielt an Armutsmigr­anten aus Rumänien und Bulgarien, die sonst kaum eine Chance auf eine Wohnung haben. Noch viel lieber vermieten sie aber an Hartz-IVEmpfänge­r. Das Praktische bei ihnen ist: Das Jobcenter zahlt die Miete. Garantiert.

Im Haus Seehafenst­raße 9 leben ganze Familien in einem einzigen winzigen Raum. Mal sind die Zimmer 18, 19 Quadratmet­er groß, mal nur zehn oder elf, aber am Preis ändert das kaum etwas. Die Miete liegt immer bei 420 bis 435 Euro. Diese Beträge sind nicht zufällig gewählt. Sie liegen knapp unterhalb des Mietbetrag­es, den das Jobcenter anstandslo­s übernimmt, ohne Fragen zu stellen.

Ortstermin mit Siegmund Chychla, dem Chef des Mietervere­ins zu Hamburg. Er besichtigt zusammen mit MOPO-Reportern das Gebäude und ist erschütter­t: „Es ist untragbar, dass es in einer reichen Stadt wie Hamburg solch prekäre Wohnverhäl­tnisse gibt.“Chychla kritisiert, dass sich einige Vermieter den schwierige­n Wohnungsma­rkt zunutze machen und eiskalt abkassiere­n. Der Verdacht, dass hier Wuchermiet­en kassiert werden, sei auf jeden Fall begründet.

Wie dramatisch die Lage für Arme ist, die eine Wohnung suchen, weiß Sascha Schwabe sehr genau. Der 41Jährige ist Hartz-IV-Empfänger, Ein-Euro-Jobber – und obdachlos. In seiner Not fragte er seine Sachbearbe­iterin in der Sozialbera­tungsstell­e „Passage“im Hans-Fitze-Haus in Harburg um Rat. „Da gab sie mir einen Zettel mit der Telefonnum­mer von Vermieter Volker F.“Als er dann das Zimmer in der Seehafenst­raße sah, sei ihm das Frühstück wieder hochgekomm­en. „Ich hab’s zwar gemietet, aber die Nächte verbringe ich bei meiner Mutter. So ekelhaft!“

Wie kommt es, dass Sozialarbe­iter der Passage ausgerechn­et solche AbzockerAb­steigen vermitteln? „Na ja, vermitteln ist das falsche Wort“, widerspric­ht der Beratungss­tellenleit­er Olaf Bohn. „Wir haben es mit Menschen zu tun, die akut von Obdachlosi­gkeit bedroht sind – und bevor sie unter der Brücke landen, sagen wir ihnen, dass in der Seehafenst­raße vielleicht ein Zimmer frei ist.“Bohn weiter: „Ich kenne die unzumutbar­en Zustände in den Häusern Seehafenst­raße 9 und auch 10. Und ich bin heilfroh, dass die Sozialbehö­rde jetzt was unternimmt gegen Vermieter wie F.“

Wie viel Geld der im Monat mit der Bruchbude in Harburg macht? Wir überschlag­en mal: Fünf Geschosse gibt es. In jedem gibt es acht bis zehn Zimmer. Macht bei einer Miete von 420 Euro pro Raum monatliche Einnahmen von 17 000 Euro oder mehr.

Wir wollen vom Vermieter wissen: Wie kann er das mit seinem Gewissen vereinbare­n? Also besuchen wir ihn in seiner Villa in Lokstedt. Er will gerade in seinen schwarzen Audi steigen, als wir ihn ansprechen. Er antwortet: „Die Mieten sind in bester Ordnung. Alles ist mit den Behörden besprochen.“

Als Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehö­rde, von dieser Antwort hört, lacht er laut. „Mit uns abgesproch­en? Ja, das hätte ich auch gesagt!“

„Wohnverhäl­tnisse sind in einer Stadt wie Hamburg untragbar.“Siegmund Chychla

 ??  ?? Seehafenst­raße 9 in Harburg: Hier wohnen mehrköpfig­e Familien in winzigen Räumen zusammen. Miete: rund 420 Euro. Manchmal müssen sich zwölf, 13 oder noch mehr Bewohner eine solche „Gemeinscha­ftsküche“teilen.
Das Treppenhau­s wäre die perfekte Kulisse...
Seehafenst­raße 9 in Harburg: Hier wohnen mehrköpfig­e Familien in winzigen Räumen zusammen. Miete: rund 420 Euro. Manchmal müssen sich zwölf, 13 oder noch mehr Bewohner eine solche „Gemeinscha­ftsküche“teilen. Das Treppenhau­s wäre die perfekte Kulisse...
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