Hamburger Morgenpost

Erst überhäufte sie mich mit Liebesschw­üren, dann schlug sie mich

Immer mehr Männer werden Opfer häuslicher Gewalt, viele schweigen darüber. MOPO-am-Sonntag-Reporter Rolf Kremming besuchte einen der wenigen Zufluchtso­rte in Brandenbur­g

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Von ROLF KREMMING

Für Karsten B. (34) war es die große Liebe. Juliane war intelligen­t, schrieb gerade ihre Masterarbe­it in Wirtschaft­spsycholog­ie, sah bezaubernd aus und hatte die strahlends­ten Augen der Welt. Dass die 29-Jährige in den nächsten Wochen öfter mal laut wurde, dar ber sah der Computersp­ezialist hinweg.

„Eine Frau wie ein Engel“, beschrieb er sie seinen Freunden. Dass daraus bald ein Teufel werden sollte, merkte er, als es zu spät war. Nach vier Monaten hatte er ein blaues Auge, sechs Wochen später ein zweites. Wenn Juliane nicht ihren Willen bekam, f ogen die Fetzen.

„Sie bestrafte mich mit Liebesentz­ug, es gab keinen Sex mehr, sie nannte mich einen Schlappsch­wanz und einen Nichtsnutz. Immer öfter musste ich auf der Couch im Wohnzimmer schlafen.“Für Karsten B. begann eine Zeit voller Demütigung­en. Vergaß er etwas vom Einkaufsze­ttel, schrie sie herum. Zog er ihrer Meinung nach das falsche Hemd an, beschimpft­e sie ihn als farbenblin­den Idioten. „Sie behandelte mich wie einen ungezogene­n Jungen. Jeder im Haus hörte ihr Gezeter und ich fühlte mich vor allen Hausbewohn­ern gedemütigt.“

Drei Jahre litt er. Dann fand er endlich den Mut zu gehen.

„Ich hatte Überstunde­n gemacht und nicht rechtzeiti­g Bescheid gesagt. Für sie wieder ein Grund, auszuticke­n Ich stand wie gelähmt vor ihr und brachte keinen Ton raus. Sie griff eine Vase und zerschlug sie auf meiner Schulter und ich f üchtete ins Badezimmer. Als ich mein Spiegelbil­d sah, wurde mir klar, dass ich all die Jahre wirklich ein Schlappsch­wanz gewesen war. In diesem Augenblick wusste ich: Du musst hier raus.“

Auch nach diesem Wutanfall stand Juliane wieder reuevoll vor ihm und bat ihn um Entschuldi­gung. „,Verzeih mir, Schatz. Ich liebe dich. Ich brauche dich.‘ Ihre Worte waren für mich der reinste Hohn. Um sie nicht erneut zu reizen, nahm ich sie in die Arme und küsste sie. Für mich war das der Abschiedsk­uss.“

Zwei Stunden später, Juliane war gerade im Fitnessstu­dio, packte Karsten seine Tasche und verließ, ohne eine Erklärung zu hinterlass­en, die Wohnung. „Ich schloss wie immer ordentlich ab, dann heulte ich los. Es waren Tränen der Erleichter­ung. Vor Monaten hatte ich mir die Telefonnum­mer eines Männerhaus­es notiert und rief dort an. Der Mann am anderen Ende der Leitung sagte nur: ,Komm her, hier bist du sicher, wir helfen dir.‘“

Ich traf Karsten B. vier Wochen später im Ketziner Männerhaus von Dietmar Gettner. Er will sich nicht im Foto zeigen, er schäme sich, erzählte er mir. Doch inzwischen habe er sich gefangen und sei auf Wohnungssu­che.

Dietmar Gettner kennt genug dieser Fälle. Seit neun Jahren betreibt der 73-Jährige das Männerhaus im brandenbur­gischen Ketzin. Eines der wenigen in Deutschlan­d.

Er sagt: „Ich habe Schicksale wie aus einem billigen Roman erlebt. Ich erlebe hier Kerle wie Bäume, die beim Erzählen in Tränen ausbrechen.“

Gettner weiß, wovon er redet. Auch er war vor Jahren in einer ähnlichen Situation gewesen. „Als Kapitän eines Ostseeschi­ffes hatte ich eine Beziehung zu einer Stewardess und wurde Vater. Die Mutter meines Kindes trank gerne einen und wurde dann ausfallend. Sie beschimpft­e mich und machte mich verbal zum Krüppel. Als sie mir im Suff einen Finger umdrehte, verließ ich sie.“

Als sie ihm den Umgang mit seiner Tochter verwehrte, verkaufte Gettner sein Oldtimersc­hiff, kaufte von dem Geld ein leerstehen­des ehemaliges DDRFerienh­eim im Erzgebirge und eröffnete eine Begegnungs­stätte für Trennungsk­inder.

„In dieser Zeit lernte ich auch Männer kennen, die von ihren Frauen misshandel­t wurden. Ich war erstaunt, dass es für sie keine Hilfe gab.“

Für den ehemaligen Kapitän der Anlass, daran etwas zu ändern und aktiv zu werden. Vor neun Jahren kaufte er den Bauernhof samt Pferdekopp­el in Ketzin. 13 Zimmer und eine Wohnung bieten Männern Zuf ucht. „Es hatte sich sehr schnell herumgespr­ochen und Sozialarbe­iter, Pfarrer und Hilfsorgan­isationen schicken uns Opfer vorbei. Zurzeit sind alle Zimmer belegt.“

Staatliche Unterstütz­ung bekommt Gettner keine.

Er arbeitet ehrenamtli­ch und das Haus finanziert sich durch die Monatsmiet­en von 240 Euro pro Zimmer auf dem 6000 Quadratmet­er großen Gelände.

Er ist sicher, dass er das Richtige macht: „Irgendwie brauchen erst mal alle Abstand vom früheren Leben. So manch einer redet mit den Pferden und quatscht sich seinen Frust von der Seele. Einige von ihnen verarbeite­n ihre Niederlage, indem sie sich handwerkli­ch betätigen. Und zu tun gibt es hier jede Menge. Das Dach muss repariert, die Wiese gemäht und die Tiere gefüttert werden.“

In einem anderen Zimmer treffe ich Rainer. Mitte vierzig und schütteres Haar. Auch er schämt sich. Will sich nicht von vorne fotografie­ren lassen. Er und Sabine waren vier Jahre ein Paar, hatten aufregende­n Sex, erzählt er. Wenn nicht ihre sinnlose Eifersucht gewesen wäre.

„Ständig unterstell­te sie mir, ich ginge fremd. Als ich das erste Mal im Bett versagte, hielt sie es für einen Beweis, dass ich vorher mit einer anderen Frau geschlafen hätte. Dabei war meine Erektionss­chwierigke­it psychische­r Natur. Ihre endlosen Beschimpfu­ngen hatten mich

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