Hamburger Morgenpost

Ökologisch­e Katastroph­e fatal für alle

Erschrecke­nde Zahlen Deutschlan­d: Innerhalb von zwölf Jahren 12,7 Millionen Brutpaare weniger. Insekten-Bestand schrumpft

- JÜRGEN DREVES politik@mopo.de

Weniger Mücken, weniger Fliegen, weniger Wespen – ist doch eine gute Nachricht, oder? Nein, natürlich nicht. Wenn Wissenscha­ftler jetzt einen Rückgang bei den Insekten um bis zu 80 Prozent nachweisen, ist das eine ökologisch­e Katastroph­e mit fatalen Auswirkung­en für uns alle. Denn ohne Insekten verhungern viele Vögel. Die weitaus meisten Wildpflanz­en sind angewiesen auf die Bestäubung durch Bienen, Hummeln und Co., ohne die im Tier- und Pflanzenre­ich ein tausendfac­her Artentod droht. Auch wenn die Ursachen für das Insektenst­erben nicht eindeutig geklärt sind: Wir müssen schnell Rahmenbedi­ngungen schaffen, um den bedrohten Tieren das Überleben zu erleichter­n. Zum Beispiel durch die Einrichtun­g von naturbelas­senen Ackerrands­treifen. Oder durch die Schaffung von Brachland – Agrarfläch­en, die über mehrere Jahre nicht bewirtscha­ftet werden. Entspreche­nde finanziell­e Anreize für Bauern sind eine politische Entscheidu­ng, die sich zügig umsetzen lässt. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Wenn wir jetzt nicht rasch gegensteue­rn, ist der erste Frühling ohne Vogelgezwi­tscher nicht mehr fern.

Berlin – Der Star ist der frischgekü­rte Vogel des Jahres 2018. Doch immer seltener bekommen wir ihn zu sehen. Und nicht nur ihn. Die Zahl der Vögel in Deutschlan­d geht nach Berechnung­en des Naturschut­zbundes (Nabu) generell dramatisch zurück. In nur zwölf Jahren hat Deutschlan­d demnach 12,7 Millionen Vogelbrutp­aare verloren. Ein Rückgang um 15 Prozent!

Kein Vogelgezwi­tscher mehr am Morgen? Keine Starenschw­ärme mehr am Himmel? Unmöglich ist das nicht: „Aufgrund der dramatisch­en Zahlen muss man von einem regelrecht­en Vogelsterb­en sprechen“, sagt Nabu-Präsident Olaf Tschimpke. „Während wir es schaffen, große und seltene Vogelarten durch gezielten Artenschut­z zu erhalten, brechen die Bestände unserer Allerwelts­vögel ein.“Sie fänden in der aufgeräumt­en Agrarlands­chaft außerhalb von Naturschut­zgebieten kaum noch Überlebens­möglichkei­ten.

Laut Nabu-Vogelschut­zexperte Lars Lachmann finden sich neben dem Star mit Feldlerche, Feldsperli­ng und Goldammer drei weitere Vögel der Agrarlands­chaft unter den zahlenmäßi­g größten Verlierern. Und er ist sicher: „Die Entwicklun­g unserer landwirtsc­haftlich genutzten Flächen ist auch der mutmaßlich­e Grund für diesen massiven Bestandsei­nbruch.“

Im betroffene­n Zeitraum habe der Anteil an artenreich­en Wiesen und Weiden oder Brachfläch­en drastisch ab-, der intensive Anbau von Mais und Raps dagegen stark zugenommen.

Die besorgnise­rregende Entwicklun­g bei den Vögeln hänge wohl mit dem Rückgang der Zahlen bei den Insekten zusammen. Auch ihnen fehle der Lebensraum. Eine am Mittwoch in der wissenscha­ftlichen Fachzeitsc­hrift „PLOS ONE“veröffentl­ichte Studie hat die dramatisch­en Befunde zum Insektenrü­ckgang in Nordwestde­utschland bestätigt. Seit den 90er Jahren hat dort die Masse der Fluginsekt­en zwischen 76 und 81 Prozent abgenommen. Durch die große Anzahl der untersucht­en Standorte und Lebensals räume kann die Studie reganz präsentati­v für Deutschlan­d erachtet werden. „Ein direkter Zusam- menhang mit dem Vogelrückg­ang ist sehr wahrschein­lich, denn fast alle betroffene­n Arten füttern zumindest ihre Jungen mit Insekten“, so Lachmann.

Auch am Max-Planck-Institut für Ornitholog­ie in Radolfzell am Bodensee sieht Forscher Wolfgang Fiedler einen Trend zum schleichen­den Verlust von Vogelarten. „Wir haben keine eigenen Daten. Aber es trifft auch Vögel, die wir für häufig halten“, sagte er. Fiedler vermutet neben dem Insek-

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 ??  ?? Die Nabu-Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum 1998 bis 2009. Auch die Bestände der Allerwelts­vögel (hier ein Spatz) brechen laut Nabu ein.
Die Nabu-Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum 1998 bis 2009. Auch die Bestände der Allerwelts­vögel (hier ein Spatz) brechen laut Nabu ein.
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