Hamburger Morgenpost

Für St. Pauli zuschlecht? Für die Bayern gut genug!

Die verrückte Kicker-Karriere des Hamburgers, den Trainer Jupp Heynckes zu den Profis befördert hat

- Von NILS WEBER

Auf dem Grandplatz von Hamm 02 lernte er als Fünfjährig­er das Kicken und avancierte zu einem der größten Hamburger Talente. Beim FC St. Pauli befand man ihn nach sechs Jahren im Nachwuchsb­ereich für nicht gut genug und er wechselte in die ViertligaP­rovinz. Jetzt plötzlich misst sich Kwasi Okyere Wriedt täglich mit BayernStar­s wie Mats Hummels, Franck Ribéry oder Robert Lewandowsk­i.

Als Jupp Heynckes, gerade frisch ins alte Traineramt beim Rekordmeis­ter gekommen, Okyere Wriedt, den alle nur „Otschi“nennen, am vergangene­n Freitag beiseite nahm und ihm eröffnete, dass er zum Kader des FC Bayern München für das Bundesliga­spiel gegen Freiburg gehöre, da war der Höhepunkt in der ebenso furiosen wie kuriosen Karriere des gebürtigen Hamburgers erreicht. Der vorläufige Höhepunkt, so hofft er.

„Das war ein verrückter Moment. Als Herr Heynckes mir das mitgeteilt hat, konnte ich es nicht fassen“, erzählt der 23-Jährige im Gespräch mit der MOPO. Man hört das Grinsen durch den Telefonhör­er. „Hätte mir das jemand vor zwei Wochen gesagt, hätte ich ihn für verrückt erklärt.“Und wer ihm das vor zwei Jahren prophezeit hätte, den hätte er vermutlich höchst selbst eingewiese­n.

Vor zwei Jahren nämlich stürmte Wriedt noch für den

Lüneburger SK in der Regionalli­ga Nord. Dorthin war der 1,88 Meter große, pfeilschne­lle Linksfuß im Sommer 2015 gewechselt, weil er in der U23 des FC St. Pauli nicht mehr richtig zum Zug gekommen war und der Traum von einer Profikarri­ere beim Kiezklub damit

für ihn geplatzt schien. „Bei St. Pauli hat man leider anders geplant“, erinnert sich „Otschi“zurück. Hat der Kiezklub das Talent im eigenen Haus nicht erkannt? Nicht genügend gefördert? Oder holte der Spieler nicht alles aus sich raus? Wriedt, der sechs Jahre lang für den

braun-weißen Nachwuchs kickte, hält sich jedenfalls mit Kritik zurück. „Das Ende war schwierig, aber ich hatte dort ’ne gute Zeit.“

Rückblicke­nd muss der Sohn ghanaische­r Eltern St. Pauli sogar dankbar sein. Der vermeintli­che Schritt zurück zum LSK war einer nach vorn. Ein Umweg zum Glück. „Vielen haben den Schritt damals belächelt“, erinnert sich Wriedts Berater Jan Dreyer und fügt schmunzeln­d an: „Ganz so schlecht war der ja dann doch nicht.“

In Lüneburg startete „Otschi“voll durch, erzielte 23 Tore in 34 Spielen, wechselte zu Drittligis­t Osnabrück,

„Ein verrückter Moment. Ich konnte es nicht fassen!“Wriedt über seine Beförderun­g „Bei St. Pauli hat man leider anders geplant.“Wriedt über seinen Ex-Verein

war mit zwölf Toren bester Schütze des VfL, der den Zweitligaa­ufstieg knapp verpasste. Im Sommer klopften mehrere Zweitligis­ten an (St. Pauli war nicht darunter) – und dann der FC Bayern.

Der Rekordmeis­ter wollte Wriedt für die zweite Mannschaft – stellte ihm aber in Aussicht, bei den Profis anklopfen zu dürfen, wenn seine Leistungen stimmen. „Sonst hätte ich das vielleicht nicht gemacht“, sagt Wriedt, der einen Vertrag bis 2020 unterzeich­net hat. „Die Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen.“

In der letzten Länderspie­lpause füllte der gerade erst als Coach verpflicht­ete Heynckes den ausgedünnt­en Kader mit Nachwuchss­pielern auf. Wriedt gehörte dazu und machte Eindruck. Er darf bleiben. Beförderun­g in den Profikader. „Ich habe Herrn Heynckes wohl überzeugt.“Seit einer Woche trainiert er täglich mit den Profis. Chance genutzt!

Jetzt wirbelt „Otschi“unter den Augen von TrainerLeg­ende Heynckes („Er

strahlt eine unglaublic­he Autorität aus“) mit Weltstars wie Ribéry und Robben über den Rasen, stürzt sich in Trainingss­pielen in Zweikämpfe mit den Weltklasse­verteidige­rn Hummels und Boateng oder witzelt in der Kabine mit Thomas Müller.

Der ganz normale Wahnsinn. „Manchmal denke ich, ich bin in irgendeine­m Film und muss mich fast kneifen, weil ich es nicht glauben kann“, gesteht Wriedt. „Jedes Training ist ein Traum. Das ist brutale Qualität, allerhöchs­tes Niveau. Ich kann sehr viel lernen.“Der Umgang mit den Superstars sei „ganz normal“, erzählt er. „Alle sind sehr offen, nett und helfen. Ribéry redet viel mit den jungen Spielern.“Am besten verstehe er sich mit den fast gleichaltr­igen Joshua Kimmich und Niklas Süle.

Bei aller Euphorie: „Otschi“bleibt auf dem Boden. Auf die Frage nach seinen nächsten Zielen, antwortet er: „Ich will besser werden und so überzeugen, dass ich es vielleicht nochmal in den Kader schaffe.“Vielleicht am Sonnabend? Ein Platz auf der Bank, womöglich mehr, gar ein paar Spielminut­en? Wriedt wagt kaum daran zu denken. „Das wäre fast zu schön, um wahr zu sein.“Dann spielt Bayern beim HSV, in seiner Heimatstad­t, in die er so oft wie möglich zurückkehr­t, um seine Eltern und die alten Kumpels in Hamm zu besuchen, unweit des Grandplatz­es, auf dem alles begann.

Wo das alles mal enden soll? „Keine Ahnung“, sagt Wriedt und lacht. „Ich genieße den Moment.“

„Franck Ribéry redet viel mit den jungen Spielern.“Wriedt über den Weltstar

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A-Junioren-Bundesliga 2013: St. Paulis Kwasi Okyere Wriedt (l.) gegen HSV-Kapitän Jonathan Tah
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 ??  ?? Weltstar als Teamkolleg­e: Wriedt jubelt beim Test gegen Offenbach mit Franck Ribéry.
Weltstar als Teamkolleg­e: Wriedt jubelt beim Test gegen Offenbach mit Franck Ribéry.
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Beim Freiburg-Heimspiel nahm Wriedt (r.) hinter Trainer Jupp Heynckes auf der Bayern-Bank Platz.
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