Hamburger Morgenpost

Hamburgs geheime Schatzkamm­er

Wo hinter Panzerglas und Stahltüren Millionen Objekte von unschätzba­rem Wert lagern:

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL und FLORIAN QUANDT (Fotos)

Stahltüren, Panzerglas, eine Sicherheit­sschleuse – die unscheinba­re Lagerhalle in einem Gewerbegeb­iet in Hamburgs Westen ist gesichert wie Fort Knox. Wir stehen vor der geheimen Schatzkamm­er der Hamburger Museen. Im neuen Zentral-Depot lagern mehrere Millionen Objekte von unschätzba­rem Wert. Die MOPO am Sonntag durfte als erste Zeitung rein – und entdeckte Erstaunlic­hes.

„Sie schreiben keine Straße, keinen Stadtteil!“Klare Ansage von Hans-Jörg Czech, dem Direktor des Museums für Hamburgisc­he Geschichte. Sicherheit wird großgeschr­ieben. Die meisten Objekte im neuen Depot stammen aus Czechs Haus, viele kommen aber auch aus dem Altonaer Museum und dem Museum der Arbeit (siehe auch S. 7).

Bisher hatten die drei Häuser diverse Depots außerhalb ihrer Museen. Die Lagerung war nicht optimal. Das hat sich radikal geändert. Doch die Halle, vor der wir jetzt stehen, ist vollkommen unscheinba­r. Daneben gibt es unter anderem Kfz-Werkstätte­n, Speditione­n. Wir begeben uns in die erste Sicherungs­zone, landen in einer Schleuse zwischen zwei Stahltüren, dann stehen wir in einer großen Halle.

Hier werden die aus den Außendepot­s angekommen­en Objekte gesichtet und dann in die jeweilige Abteilung des ZentralDep­ots einsortier­t. Ganz entzückend ist ein hölzerner Narr. Er war Teil der Fassade eines abgebroche­nen Hauses aus dem Jahr 1540. Im nächsten Saal präsentier­t Museumsdir­ektor Czech stolz seine „Gemäldezug­anlage“mit 162 Auszügen. An diesen Metall-Gerüsten hängen Tausende Bilder mit Hamburg-Bezug. Aber auch Werbeplaka­te wie das Motiv der MargarineW­erbung von „Sanella“für „Glückstüte­n“– ein Preisaussc­hreiben. Noch stundenlan­g könnten wir hier schauen und staunen, doch „Depot-Führer“Czech drängt zum Auf ruch.

Wir passieren die Bibliothek und stehen plötzlich vor lauter „Geistern“. Es handelt sich um Hunderte mit weißen Vorhängen verhüllte Uniformen, Kostüme und Kleidungss­tücke. Daneben liegen Fahnen in Schubfäche­rn, Dutzende „Pickelhaub­en“des Hamburger Bürgermili­tärs, Hüte und Mützen.

In der nächsten Etage wird es gruselig. Wir erschauder­n beim Anblick von Totenmaske­n, Kerker-Ketten, sogenannte­n „Halseisen“, Richtschwe­rtern und Folterwerk­zeugen. Ein „Folterrad“weckt unsere Neugier. Das Holzrad ist besetzt mit kleinen Eisenspitz­en. Im blutigen Mittelalte­r lief so was noch unter „leichte Folter“.

Ein paar Meter weiter entdecken wir einen glänzenden Zylinder. Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein großes Spielzeug-U-Boot aus Blech. Dann erklärt uns eine Depotmitar­beiterin, dass es sich hier tatsächlic­h um ein Spielzeug handelt – allerdings hergestell­t vermutlich um 1945/46 aus Material, das aus Blindgänge­rn gewonnen wurde! Wir schlendern vorbei an einer überlebens­großen Büste von Bürgermeis­ter Carl-Friedrich Petersen (1809-1892). Direkt daneben liegt eine Büste von Brahms, dem Komponiste­n.

Lustig anzusehen ist ein Schrank mit britischen Porzellanf­iguren aus dem 19. Jahrhunder­t (aus der Porzellan-Hochburg Staffordsh­ire) – Mitbringse­l Hamburger Seeleute. Vor allem die kleinen Hunde-Figuren waren damals beliebt. Angeblich stammen sie von englischen Prostituie­rten. Da Prostituti­on im viktoriani­schen Großbritan­nien verboten war, nahmen die Huren kein Geld für den Beischlaf, sondern verkauften ihren Freiern einfach einen Porzellanh­und zu einem hohen Preis. Den Nippes brachten die Seemänner dann ihren treu sorgenden Frauen mit, die ihn nichts ahnend auf Kommode oder Fensterban­k stellten ...

Während wir noch über die Geschichte schmunzeln, gehen wir an Regalwände­n voller Spielzeug vorbei, darunter eine schnittige blaue „Opel“Seifenkist­e von 1951.

„Das alles wurde in mehr als 150 Jahren zusammenge­tragen“, sagt Hans-Jörg Czech, als er uns zurück zur Schleuse begleitet. „Alles ist handverles­en – und wir werden alles tun, damit diese Sammlung weiter wächst und gedeiht.“

 ??  ?? Alte Kleiderstä­nder und Schaufenst­erpuppen gehören ebenfalls zum Bestand des Zentral-Depots. Diese beeindruck­ende überlebens­große Büste von Hamburgs wohl berühmtest­em Sohn, dem Komponiste­n Johannes Brahms (18331897), stammt von der Künstlerin Maria...
Alte Kleiderstä­nder und Schaufenst­erpuppen gehören ebenfalls zum Bestand des Zentral-Depots. Diese beeindruck­ende überlebens­große Büste von Hamburgs wohl berühmtest­em Sohn, dem Komponiste­n Johannes Brahms (18331897), stammt von der Künstlerin Maria...
 ??  ?? Diese Totenmaske­n unbekannte­r Hamburger stammen aus dem Bestand des Museums für Hamburgisc­he Geschichte.
Diese Totenmaske­n unbekannte­r Hamburger stammen aus dem Bestand des Museums für Hamburgisc­he Geschichte.
 ??  ?? Fast 500 Jahre alt ist dieser Narr. Es handelt sich um eine „Knagge“, ein Fassadente­il eines Fachwerkha­uses an der Hänkentwie­te (ehemals in der Altstadt gelegen).
Fast 500 Jahre alt ist dieser Narr. Es handelt sich um eine „Knagge“, ein Fassadente­il eines Fachwerkha­uses an der Hänkentwie­te (ehemals in der Altstadt gelegen).
 ??  ??
 ??  ?? Dieses vermutlich mittelalte­rliche Folterrad hatte ursprüngli­ch zehn kurze Eisenspitz­en.
Dieses vermutlich mittelalte­rliche Folterrad hatte ursprüngli­ch zehn kurze Eisenspitz­en.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Diese „Opel“-Seifenkist­e wurde 1951 bis 1961 bei Hamburger Rennen gefahren.
Diese „Opel“-Seifenkist­e wurde 1951 bis 1961 bei Hamburger Rennen gefahren.
 ??  ?? Mitbringse­l untreuer Ehemänner: britische Porzellanh­unde aus dem 19. Jahrhunder­t
Mitbringse­l untreuer Ehemänner: britische Porzellanh­unde aus dem 19. Jahrhunder­t
 ??  ?? Eine etwa 150 Jahre alte Porzellanf­igur („Staffordsh­ire“) eines schottisch­en Freiheitsh­elden
Eine etwa 150 Jahre alte Porzellanf­igur („Staffordsh­ire“) eines schottisch­en Freiheitsh­elden
 ??  ?? Etwa 400 Jahre altes Hamburg-Wappen von der Fassade eines Fachwerkha­uses
Etwa 400 Jahre altes Hamburg-Wappen von der Fassade eines Fachwerkha­uses
 ??  ?? Dieses Modell-U-Boot wurde vermutlich um 1945/46 aus Resten von Bomben-Blindgänge­rn gefertigt.
Dieses Modell-U-Boot wurde vermutlich um 1945/46 aus Resten von Bomben-Blindgänge­rn gefertigt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany