Der Professor, der von den Spinnen lernt
Materialforscher entwickelt aus ihren Netzen Fasern für die Medizintechnik
Bayreuth – Für viele Menschen sind Spinnennetze ein Ärgernis. Zeugen sie doch irgendwie davon, dass schon lange nicht mehr geputzt wurde. Für Professor Thomas Scheibel von der Universität Bayreuth hingegen sind sie extrem faszinierend. Er will von den Spinnen lernen, um neue Gef ßprothesen, Dialysekatheter oder Herzklappen zu entwickeln.
Die Spinnenseide ist es, die Materialforscher wie Scheibel so interessiert. Genauer gesagt geht es um die Proteine, die der Seide Struktur und Festigkeit verleihen. Bisher war es aber nicht möglich, dieses Protein in großer Menge und gleich bleibender Qualität herzustellen. Doch kürzlich war es so weit: „Uns ist es gelungen, ein rekombiniertes Seidenprotein der Gartenkreuzspinne in größeren Mengen und bei gleich bleibender hoher Qualität zu produzieren“, sagt Scheibel.
Spinnenseide ist belastbarer als Nylon, Kevlar und alle anderen bekannten Fasermaterialien. Die Idee, sie als Werkstoff zu nutzen, gab es bereits in den 1980er Jahren. Doch namhafte Chemiekonzerne sind an der Großproduktion gescheitert. „Damals hat jeder gesagt, das schafft man nicht“, erinnert sich Scheibel. Spinnen in großer Schar zu züchten und diese zu melken sei unwirtschaftlich. Zudem nehme die Qualität der Seide von Spinnen in Gefangenschaft ab. Auch sind die Proteine der Spinnenseide so aufgebaut, dass ein kleiner Anstoß von außen genügt, damit sie sich zu extrem festen Strukturen zusammenlagern. Scheibel: „Das ist essenziell für den Spinnprozess in der Natur, beim Rühren und Reinigen ist das eher hinderlich.“
Gemeinsam mit zwei Mitarbeitern gründete Scheibel 2008 das Start-up-Unternehmen AMSilk. Drei Jahre dauerte es, bis sie ein Protein aus der Dra line-Seide der Gartenkreuzspinne in einem 120 000 Liter großen Fermenter herstellen konnten. Dazu mussten die Forscher die Spinnenproteine über sogenanntes „ rotein en ineerin “ein weni verändern und einen besonderen Reinigungs- und Spinnprozess entwickeln. Auf diese Weise entsteht nun ein weißes Garn, das auch komplett recycelbar ist. „In der Natur frisst die S inne ihre Netze auf“, so Scheibel. Spinnenseide hat noch eine andere Eigenschaft, die sie für die Medizin so interessant macht: Sie ist steril. Ihre Oberf äche ist so aufebaut, dass sich Bakterien oder Pilze nicht festhalten können. Und: Spinnennetze halten ewig. Wenn man sie nicht wegfegt ...