Hamburger Morgenpost

„Ich bin ganz stolz, hier Trainer sein zu dürfen“

Interview mit Olaf Janßen (51) Heute ist er ein Jahr beim FC St. Pauli. „Hamburg ist wunderschö­n“Erinnerung­en an Lienen und eine „hochspanne­nde Entwicklun­g“

- STEFAN KRAUSE s.krause@mopo.de

Heute vor einem Jahr gab der damals massiv abstiegsbe­drohte FC St. Pauli die Verpflicht­ung von Olaf Janßen bekannt. Als Co-Trainer von Ewald Lienen geholt, leitet der 51-Jährige als dessen Nachfolger seit Sommer bekanntlic­h die Geschicke auf dem Kiez als Chefcoach. In der MOPO spricht er über seine innige Beziehung zur Wahlheimat, familiäre Verquickun­gen mit Hamburg und natürlich die sportliche­n Aspekte seines Wirkens.

MOPO: Wie lebt es sich hier als waschechte­r Rheinlände­r?

Olaf Janßen: Ich habe die Stadt sowieso schon gemocht und mag sie jetzt noch mehr. Das Wasser drum herum gibt eine gewisse Ruhe, die alte Baustruktu­r kennt man als Kölner gar nicht. Hamburg ist wirklich wunderschö­n. Wenn mich Freunde oder Familie besuchen, bin ich immer ganz stolz, hier Trainer sein zu dürfen. Und auch bei den Menschen hier fühle ich mich sehr wohl. Sie sind direkt ins Viertel gezogen.

Stimmt. Ich wohne in der Schanze, da trifft man nicht unbedingt auf die Oberschich­t, sondern auf extrem bodenständ­ige Leute. Das ist nah bei mir. War es auch eine Idee, dort zu wohnen, wo man den FC St. Pauli lebt und spürt? Das war ein Punkt, der mir wichtig war. Zu sehen, was das Besondere an dem Verein ist, von dem man schon so viel gehört hat. Und als ich in der schwierige­n sportliche­n Situation kam, war es auch klar, dass wir auf diesem Ritt sehr von den Menschen um den Verein herum abhängig sind, dass man zusammen an einem Strang ziehen muss. Wie sieht es mit der Nachtruhe aus mit der Szene vor der Haustür? Wenn ich schlafe, dann schlafe ich. Als wir im Rheinland nachts ein Erdbeben hatten, erzählt mir meine Frau immer noch gerne, dass der Schrank gewackelt hat. Das hat mich wenig interessie­rt (lacht). Hatten Sie denn die komplette Familie schon mal zu Gast (Janßen hat mit seiner Susanne fünf Kinder, die Familie lebt in Köln; Anm. d. Red.)? Ja. Wir haben hier letztes Jahr alle zusammen Weihnachte­n gefeiert. Die Kinder kommen ihren Papa besuchen, wenn sie nur können. Letztes Wochenende war meine Tochter mit ihrem Zukünftige­n da und hat direkt hier ihren Heiratsant­rag gekriegt. Gab es schon Gelegenhei­t, mal ins kulturelle Angebot der Stadt rein zu schnüffeln? Es ist tatsächlic­h so, dass die Zeit sehr begrenzt ist. Und wenn sie da ist, fehlt einem die Energie. Aber was ich gemacht habe, war mir mit meiner Tochter die „Heiße Ecke“anzuschaue­n. Das fand ich mehr als amüsant, das war schon cool. Nicht zu vernachläs­sigen ist natürlich die sportliche Seite. Wie sind Ihre Erinnerung­en an die ersten Tage im November 2016, als die Lage aussichtsl­os wirkte? Die ersten Erinnerung­en sind die an das Gespräch, das ich mit Ewald Lienen hatte. Als ich hier angereist bin, konnte ich mir nicht so recht vorstellen, wie das funktionie­ren sollte mit der Zusammenar­beit, in der Wahrnehmun­g der Mannschaft, der Verteilung der Kompetenze­n und so weiter. Dieses Gespräch war schon außergewöh­nlich, sehr beeindruck­end. Die Ergebnisse auf dem Platz blieben zunächst dieselben …

In Würzburg, gegen Düsseldorf und in Heidenheim haben wir zu Null verloren. Aber da habe ich wirklich kaum Erinnerung­en dran, weil die Zeit brutal intensiv war. Ich habe neulich wieder ein Bild gesehen, wo ich nach ein paar Tagen schon mit der Taktiktafe­l auf dem Platz stand. Man musste Tag und Nacht überlegen, an welcher Strippe muss man ziehen, mit wem muss man reden, wen muss man ins Boot holen – alles war vollgestop­ft mit Arbeit. Wie sehen Sie die Entwicklun­g der Mannschaft seitdem bis zum heutigen Tag? Hochspanne­nd sehe ich die und mit Genugtuung. Weil die Zeit einfach zeigt: Wenn eine Mannschaft sich auf den Weg macht und daran glaubt, dass man viele Dinge verändern kann, von denen man dachte, sie wären in Stein gemeißelt, dann ist das schön zu sehen. Oder wenn ich unser Spiel in Ballbesitz sehe von einer Mannschaft, die häufig dem Gegner den Ball überlassen hat, bis hin zu einer, die das Spiel bestimmen will, die Ideen hat. Das zeigt, dass wir erst dann am Ende des Weges sind, wenn wir an das Mehr nicht mehr glauben. Ich hoffe, dass wir mitten auf dem Weg sind. Das Gefühl habe ich täglich bei der Mannschaft. Sie zeigen an der Seitenlini­e mehr Temperamen­t als viele andere Trainer. Ist das so gewollt? Also, das ist ein spannendes

Thema bei mir … Grundsätzl­ich ist meine Haltung so, dass ich bei meiner Mannschaft sein will und meinen Spieler signalisie­ren will, dass wir das alles zusammen tun. Ich versuche, die Spieler zu unterstütz­en. Jetzt kommt allerdings das Aber: Bei den Videoanaly­sen merke ich, dass da noch Entwicklun­gspotenzia­l beim Trainer Olaf Janßen ist. Und zwar im Hinblick darauf, meine Spieler noch positiver zu begleiten. Es gibt Situatione­n, nach einer vergebenen Chance zum Beispiel, wo ich mich ärgere. Und ich weiß, wenn der Spieler in der Sekunde zu mir schaut, dann zieht ihn das noch mehr runter. Meine Jungs können das zum Glück einschätze­n, aber daran muss ich noch arbeiten. Ganz sicher aber wird es nicht passieren, dass ich irgendwann klatsche, obwohl es nichts zu klatschen gibt. Welche Wünsche haben Sie fürs zweite Jahr?

Der einzige Wunsch, den ich habe, wäre, dass sich das alles weiterhin so gut anfühlt wie es sich jetzt anfühlt. Und dass ich in einem Jahr nicht feststelle­n muss, dass der heutige Tag das Ende unserer Entwicklun­g gewesen ist.

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Mit Ewald Lienen als Chef fing der Spaß für Olaf Janßen auf dem Kiez an. Seit Sommer ist er für die Profi-Elf hauptveran­twortlich.
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Olaf Janßen (r.) im Gespräch mit MOPO- Reporter Stefan Krause Olaf Janßen ist mein Leib und Seele Trainer beim FC St. Pauli. Niederlage­n schmerzen ihn sehr, wie hier zu sehen beim Pokal-Aus in Paderborn (1:2).

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