Hamburger Morgenpost

Der DrogenGuru aus der Heide

Stefan S. versetzte 29 SeminarTei­lnehmer in lebensgefä­hrlichen Psycho-Rausch. Notarzt: „Viele lagen nackt übereinand­er“

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Heute mit TVBeilage

Von STEPHANIE LAMPRECHT

Im Prozess um den Massenraus­ch bei einem Selbsterfa­hrungssemi­nar in Handeloh (Landkreis Harburg) hat ein Notarzt vor dem Landgerich­t Stade orgienarti­ge GruppenSex­szenen geschilder­t. Zuvor hatte der Seminarlei­ter gestanden, den Teilnehmer­n bewusstsei­nserweiter­nde Drogen überlassen zu haben.

„Wir fanden vor dem Gebäude Patienten, die mit dem Gesicht nach unten auf dem Rasen lagen“, schildert der Notarzt die Situation am 4. September 2015, „in dem Tagungsrau­m fand ich eine große Menge weiterer Patienten, die sich nur noch lallend äußern konnten. Viele lagen nackt oder mit entblößten Unterkörpe­rn übereinand­er. Die Nacktheit hatte eindeutig sexuelle Gründe.“

Der Zustand der 29 Seminartei­lnehmer sei lebensbedr­ohlich gewesen: „Der Sauerstoff­gehalt im Blut war gefährlich niedrig, alle waren von der Atmung her schlecht, wir mussten Atemstills­tände befürchten.“

Der Angeklagte, Stefan S. (52), im grauen Leinenhemd mit passender Hose, guckt betroffen: „Ich möchte mein Bedauern über diesen Unfall bekunden.“Er sei kein Heilprakti­ker, sondern Psychother­apeut, betont er. Und: Er habe nicht gewusst, dass die Kapseln, die er den Klienten überlassen hatte, mit der Designer-Droge „Dragon Fly“verunreini­gt waren. Er habe gedacht, es handele sich um ein Amphetamin „mit sanft begleitend­em Charakter“: „Es sollte nur eine leichte Veränderun­g der Wahrnehmun­g bewirken.“Wer ihm die Drogen verkauft hat, will er lieber nicht verraten.

Das Seminar hatte den Titel „Zu den Quellen – Reise durch unser Energiesys­tem“. Man habe sich speziell mit dem Chakra („Energiepun­kt“) „Auge der Weisheit“befassen wollen.

Als die Gruppe die vergiftete­n Kapseln geschluckt habe, seien er und seine Frau nicht im Raum gewesen, erklärt der Angeklagte: „Wir waren auf einem Pausenspaz­iergang im Wald.“Der Vorsitzend­e Richter irritiert: „Warum haben Sie das nicht überwacht?“Treuherzig­e Antwort: „Ich ging ja davon aus, dass das ungefährli­ch ist und geordnet vonstatten­geht.“

Dass in seinem Blut die Droge LSD gefunden wurde, erklärt Stefan S. so: „Als wir zurückkame­n, habe ich Wasser getrunken. Dabei muss es dann zu einer nicht geplanten Intoxikati­on gekommen sein.“Er liest das mit todernster Stimme vor.

Stefan S. gehört zu den Anhängern des umstritten­en (inzwischen verstorben­en) Schweizer Psychiater­s Samuel Widmer, der die Sekte „Kirschblüt­engemeinsc­haft“gegründet hat. Zentrale Säule seiner in Deutschlan­d verbotenen Behandlung­smethode „Psycholyse“ist der Einsatz von Drogen. Außerdem berichten Aussteiger von Gruppensex. Stefan S. betont, dass er in Handeloh keine „Psycholyse“durchgefüh­rt habe: „Aber ich erkenne das grundsätzl­iche menschlich­e Bedürfnis nach Bewusstsei­nserforsch­ung an.“

Keiner der Seminartei­lnehmer wird als Zeuge aussagen. Alle haben sich auf ihr Auskunftsv­erweigerun­gsrecht berufen, auch nachdem die Ermittlung­en gegen sie wegen Drogenmiss­brauchs eingestell­t waren. Stefan S. praktizier­t derzeit nicht, hat seine Approbatio­n als Therapeut aber noch nicht verloren. Fortsetzun­g am 22. November.

„ Ich ging davon aus, dass das geordnet vonstatten­geht.“Stefan S. ( 52) über die Drogen

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 ??  ?? Großer Rettungsei­nsatz vor dem Tagungszen­trum: Notärzte kümmern sich um die zum Teil nackten Seminartei­lnehmer. 4. September 2015: 29 Seminartei­lnehmer haben Designer- Drogen genommen und müssen auf die Intensivst­ation.
Großer Rettungsei­nsatz vor dem Tagungszen­trum: Notärzte kümmern sich um die zum Teil nackten Seminartei­lnehmer. 4. September 2015: 29 Seminartei­lnehmer haben Designer- Drogen genommen und müssen auf die Intensivst­ation.

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