„Die Belastung für die Hamburger ist nicht mehr witzig“
Interview Jochen Menzel vom Zukunftsrat kritisiert fehlende Nachhaltigkeit und warnt vor zu vielen Touristen
Spitzenplätze in Städterankings, Lobhudelei in aller Welt – Hamburg boomt, besonders in der Tourismusbranche. Das spült viel Geld in die Kassen der Stadt – bringt aber auch Belastungen für Hamburgs Bürger mit sich. Welche das sind und was sich künftig ändern muss, erklärt Jochen Menzel vom Hamburger Zukunftsrat im MOPOam-Sonntag-Interview.
MOPO am Sonntag: Hamburg wird weltweit gefeiert, Touristen strömen an Alster und Elbe. Wieso ist unsere Stadt so beliebt? Hans-Joachim Menzel: Ein Grund ist offensichtlich: die Elbphilharmonie als neues Wahrzeichen. Für den Tourismus der Stadt war der Bau letztlich sehr positiv. Hinzu kommt eine mediale Kettenreaktion. Wenn eine Zeitung wie die „New York Times“schreibt, springen weitere Medien mit auf den Zug – und mehr Touristen kommen. Welche Gründe gibt es außerdem? Die Hamburg Tourismus GmbH betreibt sehr aktiv Werbung für die Stadt. Wenn Hamburg mal wieder in irgendeinem Ranking gut abschneidet, wird das groß gefeiert. Die Leute kommen aber ohnehin, weil sie die Stadt interessant finden. So viel Werbung ist gar nicht nötig. Und sie hat Kehrseiten. Mehr Touristen bedeuten mehr Belastung für Hamburgs Bürger? Ganz genau. Für die Bewohner der inneren Innenstadt ist die Entwicklung sehr anstrengend und nicht mehr witzig. Durch die unzähligen Großveranstaltungen entsteht viel Lärm, viel Müll – und auch die Straßen sind noch häufiger verstopft als ohnehin schon. Dazu steigt der Ressourcenverbrauch, die Luftqualität und das Klima leiden. Das ist die Kehrseite der glänzenden Touristenmedaille – doch rund 100000 Hamburger leben vom Tourismus, auch die Stadt verdient üppig durch den zunehmenden Tourismus. Für die Wirtschaft ist diese Entwicklung ein großes Plus. Aber die negativen Folgen werden in der Politik überhaupt nicht diskutiert. Stattdessen werden nur die steigenden Touristenzahlen und Einnahmen herausgehoben. Die Stadt ist an einem wirtschaftlich sehr erfolgreichen Punkt angelangt. Die Politik sollte sich da die Frage stellen: Muss es noch mehr sein? Denn das bedeutet auch noch mehr Belastung für Hamburgs Bürger und Umwelt. Was muss passieren, um die Belastung zu reduzieren? Die Stadtteile außerhalb der inneren Innenstadt müssen künftig besser eingebunden werden. Klar, die Stadt will immer möglichst schön dastehen – mit der Kulisse von Rathaus, Alster und Hafen. Aber die Strapazen für Anwohner sind enorm. Das haben sich diejenigen, die schon seit 20 Jahren dort leben, so nicht ausgesucht. Wer steht in antwortung? In erster Linie die Politik. Aktuell wird die Tourismusentwicklung der städtischen Hamburg Tourismus GmbH überlassen. Die Politik muss die betroffene Bevölkerung einbeziehen und eine Diskussion darüber anfangen, wie es weitergehen soll. Es scheint so, als mache sich derzeit kein Politiker Gedanken darüber. In Barcelona führte das zum Kollaps: Irgendwann wollten die Bewohner keine Touristen mehr. Befürchten Sie in Hamburg ein ähnliches Szenario? Ich denke, davon ist Hamburg der Ver- noch ein gutes Stück entfernt. Aber die Politik muss aufpassen. Die Hamburger haben ein Recht darauf, dass die Stadt auch ihre bleibt. Die Olympia-Bewerbung hat doch gezeigt: Das, was die Eliten wollen, stimmt nicht immer mit dem Willen der Bürger überein – auch wenn es der Stadt viel Geld in die Kassen spülen mag. Zwar f ießt einiges davon in Bildung und soziale Projekte. Aber lange nicht alle Hamburger bekommen etwas Positives vom TourismusBoom zu spüren. Sondern sie erleben, wie sie kaum noch mit dem Auto durch ihre Stadt kommen und wie sich der Müll nach Großveranstaltungen in der Stadt häuft.
„Was die Eliten wollen, stimmt nicht immer mit dem Willen der Bürger überein.“ Das Interview führte MAX WEINHOLD