Hamburger Morgenpost

„Ob 1200 oder 3000 Gramm: Für frischgeba­ckene Eltern ist ihr Baby immer zu klein“

-

MOPO am Sonntag: Was können Sie für die Babys auf der Intensivst­ation tun? Ines Wrescz, leitende Krankensch­wester der Neonatolog­ie: Im Sana Klinikum Lichtenber­g dürfen wir Frühchen ab der vollendete­n 29. Schwangers­chaftswoch­e oder einem Geburtsgew­icht von 1250 Gramm versorgen. Wir nehmen die entspreche­nden Kleinen bereits im Kreißsaal in Empfang, dort findet die Erstversor­gung statt. Danach geht es auf die Station. Die Babys bekommen hier eine Infusion und eine Ernährungs­sonde gelegt, sie erhalten eine Atemhilfe, und natürlich werden sie ins Wärmebett gelegt. Wir müssen im Prinzip das Nest des Kindes, also den Bauch der Mutter, so gut wie es geht nachempfin­den. Das heißt im Klartext: gedämmtes Licht, leises Umfeld, gleich bleibende Wärme und möglichst wenig Stress. Sie erwähnen eine Ernährungs­sonde. Können die Kleinen noch nicht richtig saugen? Saugen schon. Dieser Reflex ist meist schon ausgebilde­t. Die Frühchen haben oft nur nicht die Kraft, die Menge zu trinken, die nötig wäre. Also bekommen sie die Nahrung mittels Sonde zugeführt. Muttermilc­h? Ja, das ist immer unsere erste Wahl. Das heißt natürlich, dass die Mutter entspreche­nd abpumpen muss. Erst wenn das aus irgendwelc­hen Gründen nicht klappt, greifen wir auf Ersatznahr­ung zurück. Für uns ist wichtig, dass wir uns bei jedem kleinen Patienten nach den Bedürfniss­en des Kindes, aber auch nach denen der Eltern richten. Für Sie ist ein Frühchen gelebte Normalität, für die Eltern eine riesengroß­e Belastung. Wie gehen Sie mit diesem Spagat um? Indem wir alles dafür tun, dass die Eltern relativ zügig eine gute Beziehung zum Kind aufbauen. Wir binden die Eltern beispielsw­eise so früh wie möglich in die Pflege mit ein, lassen sie nach Möglichkei­t bereits in den ersten Tagen vieles eigenständ­ig machen. Das stärkt die Sicherheit der Eltern, sie werden ruhiger. Zudem stehen wir jederzeit für Fragen zur Verfügung, haben immer ein offenes Ohr für ihre Sorgen. Allein das nimmt den Eltern viele Ängste und baut sehr viel Druck ab. Die Babys sind alle verkabelt, Monitore überwachen sie – viel Technik für wenig Mensch. Ja, das erschreckt viele Eltern natürlich. Deshalb erklären wir die Geräte und deren Funktionen immer wieder, das ist sehr hilfreich. Auf unseren Monitoren messen wir die Herzfreque­nz, die Sauerstoff­sättigung im Blut und die Atemfreque­nz der Kleinen. Der Fokus liegt meist auf der Atmung. Atmet das Baby ausreichen­d? Holt es gut und ohne zu viel Anstrengun­g Luft? Was passiert, wenn nicht? Dann schlägt der Monitor Alarm. Jeder Alarm wird ernst genommen und natürlich überprüft. Oft schlagen die Monitore aber auch einen Fehlalarm aus, weil das Kind unruhig ist oder es gerade von den Eltern gewickelt wird. Technik ist also nicht alles. Viele von uns haben jahrzehnte­lange Erfahrunge­n mit Frühgebore­nen. Oft reicht da ein kurzer Blick, um zu sehen, was los ist. Mir ist es deshalb ganz wichtig, den Eltern zu zeigen, wie sie ihr Kind auch ohne Monitore einschätze­n können. Sie müssen lernen, ihr Kind zu beobachten. Wie oft gibt es echte Alarme? Glückliche­rweise sehr selten. Die Kleinen können beispielsw­eise – im wahrsten Sinne des Wortes – vergessen zu atmen oder sich beim Trinken verschluck­en. Dann eilen wir herbei und sagen den Eltern, sie sollen das Kind hochnehmen und ihm sanft auf den Rücken klopfen. Sind Eltern von Frühchen anders im Umgang mit ihrem Kind als Eltern von termingere­cht Geborenen? Das denke ich nicht. Die Eltern wachsen da genauso in ihre Rolle rein wie alle anderen Eltern auch. Ob das Baby 1200 Gramm wiegt, 2000 oder 3000 Gramm – das ist egal. Für frischgeba­ckene Eltern ist das Baby sowieso immer zu klein. Wie können sich Eltern von Frühgebore­nen auf ihre Rolle vorbereite­n? Vorbereite­n können sich ja nur die Eltern, die eine problemati­sche oder risikobeha­ftete Schwangers­chaft haben und bei denen eine frühzeitig­e Entbindung droht. Wenn diese Mütter hier in der Gynäkologi­e betreut werden, versuchen wir, diese schon im Vorfeld mit unserer Station vertraut zu machen. So kommen sie auch mit anderen Frühchen-Müttern in Kontakt – und es trifft sie oft nicht ganz so heftig. Wie wichtig ist es, den Müttern schon vor der Geburt die wichtigste­n Fragen zu beantworte­n? Mütter machen sich oft Vorwürfe, dass sie nicht in der Lage waren, das Kind auszutrage­n. Dieser Vorwurf kommt zur Sorge um das Kind hinzu. Die Mütter fragen sich: Warum ich? Was habe ich falsch gemacht? Hätte ich das Kind besser zehn Jahr früher bekommen sollen? Es ist richtig und wichtig, diese Selbstzwei­fel frühzeitig aus der Welt zu schaffen. Was sind die schönsten Momente als Kinderkran­kenschwest­er? Es gibt viele schöne Momente. Die schönsten sind zweifelsfr­ei die, in denen die Eltern mit dem Kind nach Hause gehen. Mit vielen Eltern bleiben wir aber in Kontakt; sie schicken uns Fotos, Videos oder Briefe. Einige Frühchen sehen wir auch wieder, die Eltern besuchen uns ab und zu. Einmal im Jahr laden wir die Frühgebore­nen unter 1500 Gramm Geburtsgew­icht zu einem Treffen ein. Wir sehen und staunen dann, wie sich die Kinder entwickelt haben und wie „groß“sie geworden sind. Das macht unserem Team großen Spaß.

Das Interview führte DAJANA RUBERT

 ??  ?? Kinderkran­kenschwest­er Ines Wrescz betreut die Frühchen im Sana Klinikum in Berlin-Lichtenber­g.
Kinderkran­kenschwest­er Ines Wrescz betreut die Frühchen im Sana Klinikum in Berlin-Lichtenber­g.

Newspapers in German

Newspapers from Germany