„Ich hab’ ihn so satt, den Hass im Netz!“
Häme, Hetze und wüste Beleidigungen: In den Online-Kommentaren tobt sich der anonyme Mob aus. Wo bleibt der Aufstand der Anständigen?
Es braucht Menschen, die sich gegen Schmähungen und Hass stellen.
Ich weiß nicht, wie Sie an Ihrem Arbeitsplatz empfangen werden, liebe Leserinnen und Leser, aber ich wünsche Ihnen, dass das netter abläuft als an vielen Morgen bei mir.
Da habe ich den ersten Kaffee am Schreibtisch noch nicht ausgetrunken, wurde aber schon als Teil der „Systempresse“oder, besser noch, „Lügenpresse“beschimpft, durfte lesen, dass wir sowieso nur Marionetten Angela Merkels sind, „linksversifft“, aber auch „rechtspopulistisch“, „hirnverbrannt“und „Niveaulimbo tanzend“– in jedem Fall aber unfähig, unseren Beruf bei der „Morgenpest“ordentlich auszuüben. Weshalb es uns recht geschieht, wenn wir demnächst, ganz sicher, ohne Job dastehen, es läuft ja in der Medienbranche derzeit nicht ganz so gut.
Oder ich darf miterleben, wie gegen jemand anderen ausgekeilt wird: Weil er oder sie es wagt, eine andere Meinung zu haben, das gleiche Geschlecht oder einen anderen Fußballverein zu lieben. Oder, die schlimmste Verfehlung, die man aktuell in den Augen einiger Zeitgenossen begehen kann, nicht jedes Sexual-Verbrechen, das in Hamburg oder andernorts geschieht, gleich mit Geflüchteten in Verbindung zu setzen. Willkommen in der Kommentar-Hölle, in die meine Online-Kollegen und ich täglich hinabsteigen dürfen, weil wir für deren Moderation mitverantwortlich sind.
Ich soll mich nicht so anstellen, meinen Sie möglicherweise? Stimmt, denn mir ergeht es nicht wie etwa der ARD-Journalistin Anja Reschke, über der sich nach ihrem „Tagesthemen“-Kommentar zur Hetze gegen Ausländer kübelweise Hass und Häme ergossen. Ich werde lediglich als Teil der MOPO beleidigt, müsste das doch gar nicht persönlich nehmen. Zumal wir die übelsten Beschimpfungen und den schlimmsten Hass gar nicht mehr zu Gesicht be- kommen, seit unser KommentarTool sie per Algorithmus vorher herausfiltert. Wussten Sie, wie dankbar man einem Stück Technik sein kann?
Ja, ein dickes Fell ist sicher keine schlechte Lösung, und es wächst auch schneller, als ich es mal für möglich gehalten habe. Allein, das eigentliche Problem behebt es nicht.
Eine Studie des Medienmagazins „Journalist“aus dem Jahr 2016 hat gezeigt, dass nahezu jede zweite Redaktion die Kommentarfunktion auf ihrer Webseite eingeschränkt hat – wir gehören dazu.
Der Grund: Die Kollegen können, wie auch wir, die Flut vor allem rechter oder strafrechtlich relevanter Kommentare nicht mehr bewältigen. Hier liegt die eigentliche Aufgabe, die mit meiner persönlichen Befindlichkeit nicht viel zu tun hat, wohl aber mit unserem gemeinsamen Verständnis von Journalismus: Wie bieten wir all denen, die Lust auf fairen Meinungsaustausch haben, berechtigterweise aber kein Interesse daran, vom anonymen Mob verbal aufs Maul zu bekommen, ein Forum, in dem ein Mindestmaß an Anstand herrscht? Nicht nur auf MOPO.de, sondern beispielsweise auch auf Facebook unter unseren Postings, wo gerne noch mal ein bisschen härter ausgeteilt wird? Es gibt eine Reihe von Strategien, die unter anderem die Amadeu-Antonio-Stiftung aufgelistet hat. Man kann „Trolle“, diese Internet-Störenfriede, die einfach nur stänkern wollen, schlicht ignorieren. Lesen muss man den Wortdurchfall allerdings trotzdem. Man kann sich lustig machen, besonders gut über Verschwörungstheoretiker. Tut kurzfristig gut, löst aber nicht das generelle Problem. Man kann und man muss Kommentare löschen, wenn sie beispielsweise rassistisch sind. Aber ja, dadurch wird jede Debatte auch verzerrt. Man kann in die Diskussion mit einsteigen. Das kostet Zeit, die wir leider oft nicht haben, und es kostet Nerven, die, siehe oben, zunehmend dünner werden. Die eine ideale Lösung gibt es nicht – und wir, die wir Plattformen zum Debattieren bereithalten, schaffen es alleine nicht mehr. Es braucht Menschen wie den Hamburger Hannes Ley, der sich mit der FacebookGruppe „#ichbinhier“in Diskussionen ge-
gen Schmähungen und Hasskommentare stellt. Es braucht Sie, liebe Leser, die sich mit einmischen. Weil ein Artikel mit Kommentaren im besten Fall einen echten Mehrwert hat. Weil viele kluge Köpfe sich zu einem Thema äußern, weil unterschiedliche Meinungen Gehör finden können, weil man, als Autor und als Leser, auch mit unbequemen Ansichten konfrontiert wird, denen man in der eigenen Filterblase ganz gut ausweichen kann. Weil freie Meinungsäußerung die Basis von Demokratie ist.
Deshalb: Machen Sie den Mund auf. Zeigen Sie klare Kante, aus der Hölle muss ja nicht gleich ein Paradies werden. Aber streiten Sie mit Respekt voreinander und, ja, auch vor uns.
Nicht, damit mir morgens mein Kaffee wieder besser schmeckt. Sondern damit Hass und Hetze nicht die Oberhand gewinnen. Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlicher Sicht über Themen, die Hamburg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de