Kann Scholz die SPD retten?
Zwei MOPO-Redakteure iskutieren:
Kontra: Grundanständig, aber provinziell
Die Szene wirkt bizarr. Da sitzen NRW-Landesvater Armin Laschet (CDU), Grünen-Chef Cem Özdemir und der Verleger Wolfram Weimer im Bahrenfelder Studio von Markus Lanz, weiden sich am Missgeschick des SPDChefs Martin Schulz: am Wahlk(r)ampf, der (zu) frühen Absage an Merkel. Und dann zeigt Lanz auf den ebenfalls im Studio sitzenden Olaf Scholz, nennt ihn „Zünglein an der Waage“, auf das ganz Deutschland blicke.
Anschließend übergibt Lanz das Wort an Weimer, der, sich in einen wahren Rausch redend, Scholz gar als Erlöser preist: „SIE sind der Mann, der die SPD aus dem Koma erwecken kann! (...) An Ihrer Stelle würde ich nicht reden wie ein Anästhesist, sondern wie ein Notarzt.“Gemeint ist: Nicht nur die SPD, das politische Deutschland liegt seit der geplatzten Jamaika-Geschichte in der Notaufnahme. Und jetzt ist kein Medizin-Virtuose gefragt, ein Notarzt mit dem sicheren Blick für lebenserhaltende Maßnahmen muss ran!
Spätestens hier hätte jeder beschwichtigend die Hände gehoben, hätte ob der maßlosen Überhöhung vehement widersprochen: „Ich bin gern Hamburgs Bürgermeister“oder „Wir haben doch einen tollen SPD-Vorsitzenden …“Aber Olaf Scholz? Er lächelt, plaudert über seinen Bruder, der Anästhesist sei – und scheint sich sichtlich im warmen Licht der Huldigungen zu sonnen. Und man fragt sich: Wann endlich drückt er im Aufzug, der rasant Richtung „Chefetage“fährt, den Ausstiegs-Knopf ?
Was haben wir am Mittwochabend im ZDF gelernt? Dass Scholz – anders als Özdemir oder Laschet – eine Talkshow nicht wirklich bereichert. Aus dem „Scholzomaten“ist keine „Boombox“geworden. Was nicht schlimm ist, Lautsprecher haben wir genug. Gelernt haben wir auch, dass sich Scholz an dieser Höhenluft, in die ihn andere katapultieren, offenbar berauscht. Weiß er wirklich, was er da mit sich machen lässt? Er war ein guter Arbeitsminister. Er ist ein grundanständiger Bürgermeister. Aber die „coole Rampensau“, die eine auf Bonsai-Maß geschrumpfte Volkspartei braucht, ist er definitiv nicht! Allein die Tatsache, dass ein solcher Typ in der SPD nicht zu finden ist, kann kein Argument für Scholz sein.
Was ihm fehlt? Ein „Brand“, eine Marke, eine Kernbotschaft, die man mit Scholz verbindet. Schulz? Der war immerhin „Mr. Europa“. Dass er das nicht ausgespielt hat – eine von vielen SPD-Tragödien. Doch wofür steht Scholz? Ist er erst SPD-Chef, würden sich just jene Leute auf ihn stürzen, die ihn jetzt hochjazzen. Man hört es schon: blass, ohne Vision, kein begnadeter Redner, stets umweht vom Odem der Provinzialität. Klingt auch nach Merkel? Die hatte sich in der CDU-Spendenaffäre immerhin als Krisenmanagerin einen Namen gemacht – vernunftgesteuert, bar jeder Ideologie, Chefin einer 40-Prozent-Partei. Ihr größtes Kapital damals: Geduld. Doch die SPD von heute darf nicht geduldig sein. Sie braucht einen Anpeitscher, sonst wird sie atomisiert. Daher: Olaf, bleib bei deinen Leisten. Lieber Hamburger Stint als ins Haifischbecken Berlin!
Wann endlich drückt er im Aufzug, der rasant Richtung „Chefetage“fährt, die Stopptaste? Harald Stutte
Pro: Klar kann der das
Olaf Scholz als SPD-Chef und künftig gar als Kanzler – diese Aussicht löst bei mir keine Jubelschreie aus. Aber in der Politik ist alles eine Frage der Alternative. Da fällt mir bei der SPD aktuell aber niemand ein. Und Scholz hat ja durchaus Qualitäten: Acht Gründe, warum er die SPD retten und sogar als Kanzler erfolgreich sein könnte.
1. Scholz kann Wahlen gewinnen. Das können nicht viele in der SPD von sich behaupten. 2010, als die Genossen in Hamburg am Boden lagen, sagte mir Scholz, dass seine Partei mehr als 35 Prozent bei der nächsten Wahl schaffen kann. Ich habe gelacht – und Scholz hat die absolute Mehrheit geholt. Zugegeben gegen eine desolate CDU.
2. Scholz kann Wahlkampf. Gebührenfreie Kitas, Wohnungen, Arbeitsplätze: Mit einfachen klaren Botschaften hat Scholz die Hamburger überzeugt. Das kann man von der Bundes-SPD nicht behaupten. 3. Scholz kann führen: Trotz so mancher Pleiten (G20, Elbvertiefung, Olympia) hat Scholz seine Partei derart unter Kontrolle, dass es unheimlich ist.
4. Scholz ist die personifizierte Mitte: Sozial, liberal, für Sicherheit und Ordnung – Scholz lehnt den Linkskurs der SPD unter Nahles und Schulz ab, setzt auf eine prosperierende Wirtschaft. Damit ist er bis weit ins CDU-Lager wählbar.
5. Scholz verquasselt sich nicht: Der Bürgermeister äußert sich selten so, dass es eine Schlagzeile wert ist. Das nervt uns Journalisten, zeugt aber von Selbstkontrolle und einem Sinn für strategische Kommunikation. Einzige Ausnahme: Seine unglaublich unbedachten Sätze vor und nach dem G20-Gipfel, die ihm prompt um die Ohren flogen. Ansonsten weiß man bei Scholz, woran man ist – anders als etwa bei Sigmar Gabriel. 6. Scholz kennt sich aus: Ob Freund oder Feind – in einem sind sich alle einig: Scholz ist in fast allen Themen sattelfest. Zudem beschäftigt er sich seit Jahren intensiv mit Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Urbanisierung und der Zukunft der Arbeit.
7. Scholz kann Koalition: Mit den Grünen läuft es so geschmeidig, als wäre RotGrün eine große glückliche Familie. Jeder darf Punkte sammeln, alle sind zufrieden. Ein Pluspunkt für künftige Koalitionsverhandlungen.
8. Scholz ist wie Merkels kleiner Bruder: Die größte Kritik an Scholz richtet sich an seine Persönlichkeit. Er sei dröge, nicht charismatisch, kein guter Redner, wenig visionär. Ja, stimmt. Aber klingelt was? Das Gleiche hat man jahrelang über Angela Merkel gesagt, die mittlerweile als „Führerin der freien Welt“verehrt wird. Zuweilen wirkt Scholz wie Merkels kleiner Bruder. Wie wenig Eindruck große Redner mit Wortblumen beim Wahlvolk hinterlassen, durfte Martin Schulz gerade erfahren. Wahlen werden außerhalb Bayerns nicht in Bierzelten gewonnen, sondern über Glaubwürdigkeit.
„König Olaf“also als Heiland der Genossen? Nein. Die Jahre des Erfolgs haben Scholz selbstgefällig werden lassen, was zu den Fehlern vor und nach dem G20-Gipfel führte. Er hat bei wichtigen Themen die Stimmung falsch eingeschätzt, z.B. bei Olympia. Aber auch dass Scholz restlos von sich überzeugt ist, was oft arrogant wirkt, ist kein grundsätzliches Hindernis auf dem Weg nach ganz oben. Sein größtes Problem ist Angela Merkel: Erst wenn sie weg ist, die CDU intern um eine Neuausrichtung kämpft, wäre der Weg für ihn wirklich frei. Deshalb ziert er sich ja so.
Scholz hat schon einmal eine am Boden liegende Partei auf die Siegerspur geführt
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