Hamburger Morgenpost

Hamburgs geheimnisv­olle Unterwelt

Vor 175 Jahren bekam unsere Stadt die erste moderne Wasservers­orgung in Europa. Die MOPO erklärt das 6000 Kilometer lange Labyrinth

- OLAF WUNDER olaf.wunder@mopo.de

Körperlich­e Unreinlich­keit erzeugt sehr bald Mangel an Selbstacht­ung, Rohheit und Laster. Lindley, Ingenieur

Am 29. November 1842, also vor 175 Jahren, begann der Bau der Hamburger Kanalisati­on. Dieses Jubiläum nimmt die MOPO zum Anlass, an den Ingenieur William Lindley zu erinnern: Ihm hat Hamburg die erste moderne Wasservers­orgung und Abwasseren­tsorgung des europäisch­en Kontinents zu verdanken – und noch sehr viel mehr.

Mit einer Katastroph­e fängt die Geschichte an: Am 5. Mai 1842 brennt Hamburg lichterloh. Drei Tage währt die Feuersbrun­st, ein Drittel der Stadt, beinahe der gesamte Altstadtke­rn, wird zerstört. 51 Tote sind zu beklagen, 20000 Menschen werden obdachlos, 1750 Häuser, mehr als 100 Speicher, das alte Rathaus und etliche Kirchen werden ein Raub der Flammen.

Die größte Katastroph­e, die Hamburg bis dahin erlebt hat, erweist sich als einzigarti­ge Chance: Denn die großflächi­ge Zerstörung eröffnet die Möglichkei­t, Hamburg – bis dahin eine mittelalte­rliche Stadt mit Fachwerkhä­usern, engsten Gässchen und jeder Menge Gestank – ganz neu, ganz modern wieder aufzubauen. Inklusive einer guten Wasservers­orgung.

Man muss sich das mal vorstellen: Vor dem Großen Brand schöpften große Teile der Bevölkerun­g ihr Trinkwasse­r aus Elbe und Alster – in die sie auch all ihre Abwässer, all ihre Fäkalien kippten. Sauberes Wasser? Das gab es nur für die Reichen, die einen eigenen Brunnen hatten oder sich der Dienste eines Wasserträg­ers bedienen konnten.

Nach dem Großen Brand treffen Hamburgs Stadtväter die einzig richtige Entscheidu­ng: Sie beauftrage­n den 1808 in London geborenen Ingenieur William Lindley damit, ein Kanalisati­onskonzept zu entwickeln. Das Glück ist, dass sich Lindley ohnehin in der Stadt aufhält. Er hat soeben die erste norddeutsc­he Eisenbahn fertiggest­ellt: die Linie von Hamburg nach Bergedorf.

Zeit zum Ausruhen hat Lindley nach diesem Mammut-Projekt nicht: In nur sieben Monaten stellt er seine Pläne für Hamburgs Siele fertig, so dass schon am 29. November an den Gro- ßen Bleichen die Bauarbeite­n beginnen können. Innerhalb weniger Jahre entsteht ein weit verzweigte­s kilometerl­anges Kanalnetz.

Aber nicht nur um die Abwässer, auch um die Wasservers­orgung kümmert Lindley sich: 1848 geht in Rothenburg­sort – damals ein so gut wie gar nicht besiedelte­s Viertel – die sogenannte Stadtwasse­rkunst in Betrieb: ein Wasserwerk, das der Elbe vergleichs­weise sauberes Wasser entnimmt und es in

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 ??  ?? Von wegen Wasserklos­ett! In Hamburgs Gängeviert­eln verrichtet­en die Menschen ihre Notdurft in solchen Schuppen auf dem Hof, egal ob im Winter oder im Sommer. Hygiene? Fehlanzeig­e!
Von wegen Wasserklos­ett! In Hamburgs Gängeviert­eln verrichtet­en die Menschen ihre Notdurft in solchen Schuppen auf dem Hof, egal ob im Winter oder im Sommer. Hygiene? Fehlanzeig­e!
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Zentimeter für Zentimeter wühlten sich die Arbeiter durch Hamburgs Untergrund: ein Foto vom Sielbau aus der Zeit um 1900.
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