Kinder spielen Mord und Missbrauch
Kontroverses Stück von Milo Rau: „Five Easy Pieces“über Marc Dutroux auf Kampnagel
Heftig umstritten und gefeiert: In Hamburg bringen Acht- bis 14-Jährige die brutale Geschichte des Kinderschänders Marc Dutroux auf die Bühne
Marc Dutroux. Mörder. Kinderschänder. Ein „empfindungsloser Psychopath“, so Gutachter über den Mann, der bis Mitte der 90er Jahren in Belgien mehrere Kinder und Jugendliche entführte, sie in seinen Keller sperrte, vergewaltigte, verhungern ließ, tötete. Der Schweizer Milo Rau (40) bringt das Leben eines der schlimmsten Verbrecher der vergangenen Jahrzehnte auf die KampnagelBühne – mit Kindern als Hauptdarstellern!
Dutroux, er lässt das Land selbst hinter Gittern nicht los. Zuletzt machte der zu lebenslanger Haft verurteilte Belgier (61) Schlagzeilen, weil er gegen seine Haftbedingungen klagen wollte. Ihm fehle der Friseur und er wolle im Knast studieren. Jedes Kind in Belgien kennt Dutroux – bis heute, sagt Rau.
Der Regisseur, bekannt für sein dokumentarisches Theater, wagt in seinem Stück „Five Easy Pieces“etwas Großes: Er erzählt die Geschichte Dutroux’ und an ihr entlang ein kurze Geschichte Belgiens.
Als wäre das nicht schon kontrovers genug, lässt er das Stück von Kindern und Jugendlichen im Alter von acht bis 14 Jahren spielen. Nur ein erwachsener Schauspieler (Peter Seynaeve) tritt auf und gibt die Struktur des Abends vor.
In fünf kurzen Szenen lässt er die jungen Darsteller mal in die Rolle eines Polizisten, mal in ein Elternteil eines ermordeten Mädchens oder gar in die des Vaters von Dutroux schlüpfen. Die Kinder, sie spielen die Erwachsenen. Ist das nicht zu krass? Darf der so was? Mit diesen Reaktionen seiner Zuschauer spielt Milo Rau, ganz bewusst. „Five Easy Pieces“hat der 1977 in Bern geborene Regisseur als „Experiment über das Erzählen von Geschichte(n)“angelegt. Er will wissen: Was heißt es, mit Kindern Theater für Erwachsene zu machen? Was sagen die Kinder, was Erwachsene nicht hören wollen? Und was bewirkt das in dem erwachsenen Publikum, das sie dabei beobachtet? Die Reaktionen nach der Uraufführung im Mai 2016 in Brüssel: von begeistert bis verstört. Während die christdemokratische Partei PCD in Frankreich forderte, das Stück zu verbieten (es sei eine „ungehörige und traumatisierende Situation für die Kinder“), urteilte die „Berliner Zeitung“lobend, es sei zwar „Schmerzgrenzen überschreitend emotional, aber zu klug für Rührseligkeit“.
Die Kritiker von „Theater heute“wählten „Five Easy Pieces“zur Inszenierung des Jahres 2017. Hamburg kann sich beim dreitägigen Gastspiel auf Kampnagel nun selbst ein Urteil bilden.
Kampnagel: Premiere, Do., 20 Uhr, K2, 24 Euro/14 Euro ermäßigt. Die Aufführung ist auf Flämisch mit deutschen und englischen Übertiteln. Nach jeder Vorstellung gibt es ein Publikumsgespräch.