Die Hamburger Schulen werden kaputtgespart
Die Reaktionen auf den Hilferuf einer Lehrerin in der MOPO:
Die MOPO druckte gestern den Hilferuf einer verzweifelten Grundschullehrerin an einer Brennpunkt-Schule: Sie fühlt sich von der Politik alleingelassen. Vor allem die Betreuung von sozial auff lligen und lernverzögerten Kindern setzt den Lehrkräften zu. Auch eine Bürgerinitiative macht in der Sache Druck auf den Senat, die FDP bringt das Thema morgen in die Bürgerschaft. Was ist da los an Hamburgs Schulen?
Die Problematik: „Den Job ertrag’ ich nur noch mit Rotwein“, so berichtete die 54jährige Pädagogin. Seit einem Vierteljahrhundert ist sie schon im Schuldienst, liebt ihren Job eigentlich. Aber: Die Anforderungen seien deutlich gestiegen in den vergangenen Jahren, zehn von 17 Kindern in ihrer vierten Klasse seien verhaltensauffällig, so die erfahrene Lehrerin, irgendwann nütze einem da auch die größte Routine nichts mehr.
Die betrof enen Schüler: Eingeführt wurde die Verteilung von Schülern mit „sonderpädagogischem Förderbedarf “auf alle Klassen und Schulformen 2012. Inklusion nennt man das. Das betrifft zum einen Kinder mit „speziellen Behinderungen“. Die etwa schwer gehbehindert sind oder am Downsyndrom leiden.
Außerdem betroffen seien die „LSE-Schüler“, die einen Förderbedarf in „Lernen, Sprache und emotionaler Entwicklung“hätten, so Anja Bensinger-Stolze von der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“(GEW). Darunter fallen zum Beispiel auch Kinder mit ADHS. Mittlerweile wird dieser Förderbedarf schon in der Grundschule systematisch diagnostiziert. „Etwa fünf bis sechs Prozent der Grundschüler sind betroffen“, so die GewerkschaftsVorsitzende.
Das sagt die Gewerkschaf :
„Ich kann die überforderte Lehrerin sehr gut verstehen“, so Bensinger-Stolze weiter. „Es gibt einfach zu wenig Lehrkräfte für die Herausforderungen.“550 neue Stellen würden sie daher schon seit längerem fordern. „Natürlich gibt es in der Stadt, anders als im ländlichen Raum, ein oft schwierigeres Klientel“, so die GEW-Chefin. Die Arbeitsbelastung sei die vergangenen zehn Jahre kontinuierlich gestiegen: Dokumentation, Ganztagsschulen, Schulentwicklung, Integrationsklassen ... „Aber das sind alles Probleme, mit denen man umgehen könnte, wenn der Betreuungsschlüssel stimmt.“
Auch unsere Autorin betonte gestern: Zwei Lehrer oder sonstige Betreuer pro Klasse müssten wieder her, so wie vor 2012. Massive Mittelkürzungen hätten das Problem erst geschaffen. „Ja, es gab 20 Jahre lang ein erfolgreiches Modell mit den „Integrierten Regelklassen“an Grundschulen, da gab es deutlich mehr Betreuer“, sagt auch die GEW-Chefin. Das gut klingende Etikett „Inklusion“sei also vor allem als Sparmaßnahme genutzt worden.
Außerdem problematisch: Die schwierigen Schüler landen fast alle auf den Stadtteilschulen. Acht bis neun Prozent solcher Kinder seien das dort etwa pro Klasse, habe eine Studie der Uni Hamburg ergeben, so Bensinger-Stolze. Auf den Brennpunkt-Schulen kann dieser Wert deutlich höher sein. „Auf den Gymnasien landen solche Kinder fast nie.“Es bräuchte also auch hier dringend eine Verteilung der Last. Was Kritiker noch fordern: Auch die Bürger-Initiative „Gute Inklusion für Hamburgs SchülerInnen“will deutlich mehr pädagogisches Personal. „Bürgermeister Olaf Scholz hatte im Regierungsprogramm 2011 versprochen, die personell gut ausgestatteten Integrationsund integrativen Regelklassen auszuweiten. Stattdessen wurden sie seit 2012 schrittweise abgeschafft“, so der Sprecher Pit Katzer, selbst ehemaliger Rektor einer Stadtteilschule. Außerdem im Forderungs-Katalog: Zusätzliche Räume und barrierefreie Schulen, also mit Zugang für Rollstuhlfahrer. Auch die FDP will das Thema
am Mittwoch in die Bürgerschaft einbringen: „In dutzenden Grundschulen wie Stadtteilschulen steht die Inklusion vor dem Kollaps, werden Lehrer alleingelassen, sind Eltern hilf ose Zeugen eines zusammenbrechenden Unterrichts“, so die Fraktionsvorsitzende Anna von Treuenfels-Frowein. Das sagt die Schulbehörde:
„Der Senat hat seit 2011 rund 2 300 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen: 900 zum Ausgleich der höheren Schülerzahlen und 1 400 zur Verbesserung der Unterrichtsqualität, für kleinere Klassen und zusätzliche Doppelbesetzung. Zur Verbesserung der Inklusion wurde zusätzlich die Zahl der Schulbegleitungen von rund 300 auf 1500 verfünffacht", so Pressesprecher Peter Albrecht.
Also gibt es eigentlich doch keine Probleme? „Die angesprochenen Integrationsklassen stellten früher nur fünf Prozent aller Schulklassen, alle anderen Schulklassen waren erheblich schlechter ausgestattet und hatten deutlich mehr Schüler als heute“, so Albrecht.
Hamburg stehe an der Spitze der Bundesländer bei der Lehrerausstattung an Grundschulen und Stadtteilschulen. „In der Hamburger Schulgeschichte gab es nie zuvor eine bessere Lehrerausstattung als heute.“