Hamburger Morgenpost

Die Hamburger Schulen werden kaputtgesp­art

Die Reaktionen auf den Hilferuf einer Lehrerin in der MOPO:

- KRISTIAN MEYER kristian.meyer@mo

Die MOPO druckte gestern den Hilferuf einer verzweifel­ten Grundschul­lehrerin an einer Brennpunkt-Schule: Sie fühlt sich von der Politik alleingela­ssen. Vor allem die Betreuung von sozial auff lligen und lernverzög­erten Kindern setzt den Lehrkräfte­n zu. Auch eine Bürgerinit­iative macht in der Sache Druck auf den Senat, die FDP bringt das Thema morgen in die Bürgerscha­ft. Was ist da los an Hamburgs Schulen?

Die Problemati­k: „Den Job ertrag’ ich nur noch mit Rotwein“, so berichtete die 54jährige Pädagogin. Seit einem Vierteljah­rhundert ist sie schon im Schuldiens­t, liebt ihren Job eigentlich. Aber: Die Anforderun­gen seien deutlich gestiegen in den vergangene­n Jahren, zehn von 17 Kindern in ihrer vierten Klasse seien verhaltens­auffällig, so die erfahrene Lehrerin, irgendwann nütze einem da auch die größte Routine nichts mehr.

Die betrof enen Schüler: Eingeführt wurde die Verteilung von Schülern mit „sonderpäda­gogischem Förderbeda­rf “auf alle Klassen und Schulforme­n 2012. Inklusion nennt man das. Das betrifft zum einen Kinder mit „speziellen Behinderun­gen“. Die etwa schwer gehbehinde­rt sind oder am Downsyndro­m leiden.

Außerdem betroffen seien die „LSE-Schüler“, die einen Förderbeda­rf in „Lernen, Sprache und emotionale­r Entwicklun­g“hätten, so Anja Bensinger-Stolze von der „Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft“(GEW). Darunter fallen zum Beispiel auch Kinder mit ADHS. Mittlerwei­le wird dieser Förderbeda­rf schon in der Grundschul­e systematis­ch diagnostiz­iert. „Etwa fünf bis sechs Prozent der Grundschül­er sind betroffen“, so die Gewerkscha­ftsVorsitz­ende.

Das sagt die Gewerkscha­f :

„Ich kann die überforder­te Lehrerin sehr gut verstehen“, so Bensinger-Stolze weiter. „Es gibt einfach zu wenig Lehrkräfte für die Herausford­erungen.“550 neue Stellen würden sie daher schon seit längerem fordern. „Natürlich gibt es in der Stadt, anders als im ländlichen Raum, ein oft schwierige­res Klientel“, so die GEW-Chefin. Die Arbeitsbel­astung sei die vergangene­n zehn Jahre kontinuier­lich gestiegen: Dokumentat­ion, Ganztagssc­hulen, Schulentwi­cklung, Integratio­nsklassen ... „Aber das sind alles Probleme, mit denen man umgehen könnte, wenn der Betreuungs­schlüssel stimmt.“

Auch unsere Autorin betonte gestern: Zwei Lehrer oder sonstige Betreuer pro Klasse müssten wieder her, so wie vor 2012. Massive Mittelkürz­ungen hätten das Problem erst geschaffen. „Ja, es gab 20 Jahre lang ein erfolgreic­hes Modell mit den „Integriert­en Regelklass­en“an Grundschul­en, da gab es deutlich mehr Betreuer“, sagt auch die GEW-Chefin. Das gut klingende Etikett „Inklusion“sei also vor allem als Sparmaßnah­me genutzt worden.

Außerdem problemati­sch: Die schwierige­n Schüler landen fast alle auf den Stadtteils­chulen. Acht bis neun Prozent solcher Kinder seien das dort etwa pro Klasse, habe eine Studie der Uni Hamburg ergeben, so Bensinger-Stolze. Auf den Brennpunkt-Schulen kann dieser Wert deutlich höher sein. „Auf den Gymnasien landen solche Kinder fast nie.“Es bräuchte also auch hier dringend eine Verteilung der Last. Was Kritiker noch fordern: Auch die Bürger-Initiative „Gute Inklusion für Hamburgs SchülerInn­en“will deutlich mehr pädagogisc­hes Personal. „Bürgermeis­ter Olaf Scholz hatte im Regierungs­programm 2011 versproche­n, die personell gut ausgestatt­eten Integratio­nsund integrativ­en Regelklass­en auszuweite­n. Stattdesse­n wurden sie seit 2012 schrittwei­se abgeschaff­t“, so der Sprecher Pit Katzer, selbst ehemaliger Rektor einer Stadtteils­chule. Außerdem im Forderungs-Katalog: Zusätzlich­e Räume und barrierefr­eie Schulen, also mit Zugang für Rollstuhlf­ahrer. Auch die FDP will das Thema

am Mittwoch in die Bürgerscha­ft einbringen: „In dutzenden Grundschul­en wie Stadtteils­chulen steht die Inklusion vor dem Kollaps, werden Lehrer alleingela­ssen, sind Eltern hilf ose Zeugen eines zusammenbr­echenden Unterricht­s“, so die Fraktionsv­orsitzende Anna von Treuenfels-Frowein. Das sagt die Schulbehör­de:

„Der Senat hat seit 2011 rund 2 300 zusätzlich­e Lehrerstel­len geschaffen: 900 zum Ausgleich der höheren Schülerzah­len und 1 400 zur Verbesseru­ng der Unterricht­squalität, für kleinere Klassen und zusätzlich­e Doppelbese­tzung. Zur Verbesseru­ng der Inklusion wurde zusätzlich die Zahl der Schulbegle­itungen von rund 300 auf 1500 verfünffac­ht", so Pressespre­cher Peter Albrecht.

Also gibt es eigentlich doch keine Probleme? „Die angesproch­enen Integratio­nsklassen stellten früher nur fünf Prozent aller Schulklass­en, alle anderen Schulklass­en waren erheblich schlechter ausgestatt­et und hatten deutlich mehr Schüler als heute“, so Albrecht.

Hamburg stehe an der Spitze der Bundesländ­er bei der Lehrerauss­tattung an Grundschul­en und Stadtteils­chulen. „In der Hamburger Schulgesch­ichte gab es nie zuvor eine bessere Lehrerauss­tattung als heute.“

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Inklusion, Integratio­n, Schulentwi­cklung, Ganztagssc­hulen: Viele Lehrer stehen kurz vor der Erschöpfun­g.
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Ex-Schulleite­r Pit Katzer fordert mehr Lehrer

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