Hamburger Morgenpost

Hilfe, mein Viertel platzt!

Stadtteile wie Ottensen werden gnadenlos zugeparkt. Lärm und Luf verschmutz­ung sind eine Zumutung für Anwohner. Helfen würden radikale Lösungen

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Sie parken auf Bürgerstei­gen, nutzen jede Lücke, um ihre Wagen abzustelle­n: Wer in Ottensen wohnt, der erlebt den täglichen Park-Irrsinn in den zentralen Vierteln hautnah. Gefühlt der halbe Hamburger Westen plus Umland scheint bei mir im Stadtteil am Wochenende shoppen zu gehen. Und natürlich kommen sie mit dem Auto. Ist ja klar. Schwere Taschen? Werden im Geländewag­en verstaut. Hilfe, mein Viertel platzt!

Verstopfte Straßen, zugeparkte Wege, schlechte Luft, Lärm – wer in Vierteln wie Eimsbüttel, Eppendorf, Neustadt oder der Schanze lebt, der ist Verkehrsst­ress ausgesetzt. Ich bin aufgewachs­en in Ottensen, einem Viertel, das einst nicht für den Autoverkeh­r konzipiert wurde. Mittlerwei­le ist die Situation eine Zumutung.

An manchen Tagen gleicht der öffentlich­e Raum rund ums Einkaufsze­ntrum Mercado einem großen Parkplatz ohne Regeln. Selbst die „Plätze“im Halteverbo­t sind meistens komplett belegt, Lieferzone­n mit Falschpark­ern besetzt. Die Leute stellen ihre Pkws auf Bürgerstei­gen ab, kaum eine freie Fläche ist sicher. Ein Bild, das es so in vielen Stadtteile­n Hamburgs gibt.

Um eines vorwegzune­hmen: Ich bin Autobesitz­er. Unser Wagen ist mehrmals die Woche im Einsatz. Und damit sind wir Teil des vielleicht größten Problems der Stadt: dem Autoinfark­t.

629834 Wagen sind in Hamburg privat registrier­t (Stand 1.1.2017) – 60000 mehr als noch vor neun Jahren. Nimmt man Verleiher und Firmen hinzu, steigt die Zahl noch mal um knapp 150000. Und dazu kommen täglich mehr als 300 000 Pendler. Für Hamburg verkehrste­chnisch ein Kraftakt.

Nicht ohne Grund gilt das Mobilitäts­problem als eine der wichtigste­n Herausford­erungen für Metropolen heutzutage. Wie man es lösen könnte, weiß Sören Groth vom Institut für Landes- und Stadtentwi­cklungsfor­schung. „Das neue Zauberwort in der Verkehrspl­anung lautet Multimodal­ität“, erklärt er. „Bei diesem Ansatz geht es um die f exible Nutzung von mehr als einem Verkehrsmi­ttel.“Heißt: Ich fahre nicht von A nach B mit meinem Auto, sondern je nach Lage mal mit Bus und Fahrrad oder Leihwagen und S-Bahn.

Doch um das zu fördern, tut Hamburg für meinen Geschmack zu wenig. Der Senat feiert sich für die Busbeschle­unigung, den Ausbau der StadtRad-Stationen, die Förderung des Car-Sharing und Fahrradstr­aßen – doch die Pkw-Flut stoppt er bislang nicht.

Teilweise handelt er sogar kontraprod­uktiv: „Park + Ride“-Plätze, die den Umstieg auf den öffentlich­en Nahverkehr attraktive­r machen

Am Wochenende kommt die ShoppingKa­rawane in mein Viertel und parkt alle Bürgerstei­ge zu.

sollen, kosten in Hamburg nämlich Geld. Zwei Euro pro Tag, 200 Tacken im Jahr. Um die Parkgebühr­en zu sparen, nutzen viele Pendler die Flächen in der Umgebung. Dazu steigen die HVV-Preise alljährlic­h.

Dabei werden in der modernen Städteplan­ung längst ganz neue Modelle für Wohnquarti­ere diskutiert. Eine radikale Maßnahme, die Verkehrsex­perte Groth vorschlägt, ist die Umwandlung von Straßen in Lebensräum­e. Heißt: Die Autos müssen raus, damit die Menschen mehr Platz haben. Geparkt wird dann am Quartiersr­and in modernen Car-Sharing-Parkhäuser­n, die mit der notwendige­n Infrastruk­tur für Elektrofah­rzeuge ausgestatt­et sind – und von denen ich dann mit dem (Leih-)Rad zu meiner Haustür fahre. Groth: „Seit 30 Jahren schreiben wir uns Nachhaltig­keit auf die Fahne. Trotzdem ist die Fahrleistu­ng seither Jahr für Jahr weiter angestiege­n. Und mit ihr die bekannten Probleme.“

In Hamburg beschäftig­t sich der Mobilitäts­beirat mit solchen Fragen, prüft Ideen: Was bringen zum Beispiel Anwohner-Parkzonen? Stellt sich eine höhere Lebensqual­ität für die Bewohner ein? Sinkt das Verkehrsau­f ommen?

Bewohnerpa­rken ist sicherlich ein Anfang, der aber weniger zur Abkehr vom Auto animiert, sondern eher Auswärtige zur Kasse bittet. Doch um die Zahl der Pkw auf den Parkplätze­n und Straßen wirklich zu reduzieren, braucht es dringend weitere Anreize wie günstigere HVV-Tickets und bessere Alternativ­en zum Auto. Städte wie Kopenhagen haben gezeigt: Es bringt nichts, den Leuten zu erklären, dass das Auto Klima und Umwelt schadet. Man muss andere Verkehrsmi­ttel so attraktiv machen, dass die Menschen aufs Auto verzichten, weil die Alternativ­en einfacher, praktische­r, schneller und billiger sind.

Eine ideale Stadt in Sachen Verkehr gibt es (noch) nicht. Doch Metropolen wie Wien, Barcelona oder München haben viele interessan­te Ansätze, um die Autos aus den Städten zu bekommen. Auch Hamburg versucht es. Solange die Menschen aber keinen klaren Kosten- oder Nutzenvort­eil durch den Verzicht aufs Auto erkennen, wird es weiter eng für die Menschen in Ottensen und vergleichb­aren Stadtteile­n – Lärm und Abgase inklusive.

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MOPO-Redakteur Julian König sitzt normalerwe­ise am Steuer. Er will künftig sein Auto häufiger stehen lassen.

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