Hamburger Morgenpost

Dieser Unfall war ein Mord!

Ricardas D. raste in den Gegenverke­hr und tötete Barkeeper John B. +++ Vor Gericht kein Wort der Reue

- VON SIMONE PAULS

Ein Auto kann eine Waffe sein

Es ist das erste Mal, dass in Ham urg ein Delikt im Straßenver­kehr mit einer Mordank age endet. Die Arg mentation der Staatsanwa­ltschaft ist schlüssig. Indem Ricardas D. mit hoher Geschw ndigkeit und riskanter Fahrweise durch die Stadt gerast ist und auch noch auf die Gegenfahrb­ahn fuhr, hat er den Tod anderer Menschen „billigend in Kauf genommen“, w e es im Juristende­utsch heißt. Zwei Mordmerk ale hat die Staatsanwa­ltschaft identifizi­ert: Ricardas D. hat sich eines „gemeingefä­hrlichen Mittels“, sprich eines Autos, bedient. Außerdem raste er durch die Stadt, um eine Straftat zu verdecken, denn er hatte das Taxi gestohlen. Das wäre Mordmerk al Nummer zwei. Autounfall? Mordank age? Das erinnert an einen Fall in Berlin. Dort waren im Februar zwei PS-Protzer wegen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Bei einem illegalen Straßenren­nen war ein Unbeteilig­ter ums Leben gekommen. Nun also auch ein MordProzes­s in Ham urg. Wird jetzt jeder Unfall dieser Art wegen Mordes angek agt? Nein. Jeder Fall ist anders und muss einzeln geprüft werden. A er v elleicht öffnet die Ank age dem einen oder anderen Raser die Augen: Das, was sie unter dem Hintern haben, kann eine Waffe sein. Also Fuß vom Gas!

Er raste nachts in einem geklauten Taxi durch die Stadt. Ohne Licht, über rote Ampeln, viel zu schnell. Betrunken war er auch. Am Ballindamm endete die Wahnsinns-Tour von Ricardas D. (25) mit einem Unfall. Als er mit dem Mercedes in ein Taxi donnerte, starb ein junger Barkeeper, zwei weitere Männer wurden verletzt. Seit gestern steht der Litauer vor Gericht, die Anklage lautet auf Mord.

Mit dem Mann, der im Internet selbstbewu­sst seinen muskulären Oberkörper präsentier­t, hat der Angeklagte so gar nichts mehr gemeinsam. Ricardas D., ein kleiner Mann mit kurzen Haaren, sitzt zusammenge­sunken neben seinem Anwalt und starrt ins Leere. Was in ihm vorgeht, lässt er sich nicht anmerken. Er sitzt in Untersuchu­ngshaft. Zum Tatzeitpun­kt hatte er mindestens 1,2 Promille Alkohol im Blut. Einen Führersche­in hat er nicht.

Bei dem Prozessauf­takt wurde gestern nur die Anklage verlesen. Demnach stahl Ricardas D. am 4. Mai gegen 4 Uhr das Taxi an der Krausestra­ße (Dulsberg). Durch seine unsichere Fahrweise fiel er Polizisten auf, die die Verfolgung aufnahmen. Er raste mit bis zu 145 Stundenkil­ometern durch die Stadt, mindestens zwei Mal fuhr er über Rot. Licht hatte er keines eingeschal­tet.

Vor der Kennedybrü­cke steuerte er den Mercedes bewusst in den Gegenverke­hr, so die Anklage. An der Kreuzung Ballindamm/Glockengie­ßerwall stieß er frontal mit dem Taxi von Mehmet Y. (57, siehe Seite 8) zusammen. Im Wagen saßen John B. (22) und ein weiterer junger Mann, beides Barkeeper aus dem Szene-Laden „Ciu“. Sie hatten gerade ihre Schicht beendet. Noch am Unfallort erlag John B. seinen Kopfverlet­zungen. Sein Kollege sowie der Taxifahrer wurden schwer verletzt.

Ricardas D. wollte sich gestern nicht zu den Vorwürfen äußern. Sein Anwalt sagt: „Mein Mandant erinnert sich an die Fahrt und an den Unfall nicht. Er kann sich noch nicht einmal daran erinnern, wie er an das Auto gekommen ist.“Ricardas D. sei unglaublic­h erschrocke­n, als er erfuhr, dass durch sein Verhalten ein Mensch gestorben ist und zwei verletzt wurden. „Das lastet schwer auf seinem Gewissen. Es fällt ihm schwer, sich zu entschuldi­gen, weil er keine Worte dafür findet“, so der Anwalt.

Die Mutter von John B. ist Nebenkläge­rin in dem Verfahren. Sie sah sich nicht in der Lage, ins Gericht zu kommen. Im Publikum saßen stattdesse­n seine Freunde.

Für den Prozess sind neun weitere Verhandlun­gstage angesetzt. Bei Verurteilu­ng wegen Mordes droht Ricardas D. eine lebenslang­e Haft.

Am Montag geht es weiter. Dann sollen der Taxifahrer und der Kollege von John B aussagen. Die Verkündung des Urteils ist für den 25. Januar geplant.

Er überlebte den Unfall schwer verletzt – und kämpft noch heute mit den Folgen: Mehmet Y. (57) saß in dem Taxi, in das Ricardas D. (25) im Mai mit einem anderen gestohlene­n Taxi raste. In dem Prozess ist er einer der zwei Nebenkläge­r.

Der Taxifahrer hat lange auf den Prozessbeg­inn gewartet. „Mich interessie­rt, was das für ein Mensch ist und was ihn zu so einer WahnsinnsT­at geritten hat“, sagt Mehmet Y. Doch nach dem ersten Prozesstag ist er enttäuscht. „Dass Ricardas D. behauptet, er könne sich an nichts erinnern, ist für mich ein Schlag ins Gesicht.“

In den frühen Morgenstun­den des 4. Mai rammte der Taxi-Dieb an der Kreuzung Glockengie­ßerwall/Ballindamm den Mercedes Vito von Mehmet Y. „Ich sah ein helles Fahrzeug auf mich zurasen. Danach weiß ich nichts mehr“, sagt er.

Bei dem Unfall erlitt er zahlreiche Brüche und Prellungen. 38 Feuerwehrl­eute kämpften darum, den Fahrer, die zwei Barleute sowie Ricardas D. aus den Wracks zu befreien.

Arbeiten kann Mehmet Y. bis heute nicht. Fünf Tage pro Woche muss er zur Reha. Dort übt er vier bis fünf Stunden lang Bewegungsa­bläufe. Was er sich von dem Prozess erhofft? „Eine gerechte Strafe. Zehn Jahre wären das Mindeste.“Dass ein Mensch in seinem Taxi gestorben ist, beschäftig­e ihn noch immer sehr, sagt er.

Der Vorfall hat die Stadt damals erschütter­t. Zwei Tage später versammelt­en sich rund 200 Menschen vor der „Ciu“-Bar am Ballindamm, in der John B. (✝22) gearbeitet hatte. Gemeinsam gingen sie die wenigen Meter zur Unfallstel­le. Dann legten sie Blumen nieder und zündeten Kerzen an.

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4. Mai 2017: Beide Taxen wurden bei dem Unfall zerstört.
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Der Angeklagte Ricardas D. gestern beim Prozessauf­takt
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John B. starb mit nur 22 Jahren. Er war Thai-Boxer, Model und Barkeeper in der Szene-Bar „Ciu“am Ballindamm. Er liebte Tätowierun­gen.
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simone.pauls@mopo.de SIMONE PAULS Lokalredak­teurin
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DAS OPFER John B. (†22) kam gerade von der Nachtschic­ht
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DER TÄTER Ricardas D. (25) hatte ein Taxi geklaut
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Nach dem Unfall legten Freunde und Angehörige von John B. viele Blumen an der Unfallstel­le nieder. Mehmet Y. (57) war der Fahrer des Wagens, in den der Angeklagte mit einem gestohlene­n Taxi raste.

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