Hamburger Morgenpost

Geschenke verderben das Fest!

Der MOPO-Standpunkt:

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Gerüchtewe­ise hat die Vorweihnac­htszeit etwas mit Besinnlich­keit zu tun. Schön wär’s. Jetzt sind die Wochen, in denen der Stresspege­l bei den meisten Hamburgern nur in eine Richtung zeigt: steil nach oben nämlich! Und das liegt vor allem an Unmengen von Geschenken, die für das Fest zusammenge­klaubt werden (müssen). Sie machen Weihnachte­n zu dem schlimmste­n Fest des Jahres, das nur die Einzelhänd­ler glücklich macht.

Eigentlich ist Weihnachts­shopping nur etwas für Masochiste­n. Trotzdem strömen jeden Dezember Menschenma­ssen in die Innenstadt. Sie quetschen sich in rappelvoll­e Bahnen oder keifen sich im Kampf um die letzten Parkplätze an. Sie jagen durch überklimat­isierte überfüllte Geschäfte, auf der hektischen Suche nach Inspiratio­n oder wenigstens einem Schnäppche­n – und kaufen am Ende irgendwas. Hauptsache, schnell wieder raus aus der vorweihnac­htlichen Konsumhöll­e.

455 Euro gibt jeder Hamburger in diesem Jahr für Präsente aus. Wahnsinn. Insgesamt rechnet der Handelsver­band Nord im Weihnachts­geschäft mit einem Umsatz von 2,5 Milliarden Euro, ein Plus von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Irgendwann ist dann Heiligaben­d. Der Tag, an dem man den ganzen Kram endlich loswird, den man unter größtem physischem Einsatz zusammenge­rafft hat (oder am Computer zusammenge­klickt hat). Rund um den Tannenbaum sieht es bei vielen Familien aus, als würden sie im Warenlager von Amazon feiern. Je mehr Familienmi­tglieder dabei sind, desto mehr biegt sich der Gabentisch. Jeder schenkt jedem was – damit sich ja keiner übergangen fühlt.

Besonders viel bekommen die lieben Kleinen. Um sich bei ihnen maximal beliebt zu machen, schleppen Onkel, Tanten, Omas und Opas Berge von Geschenken an. Ein entsetzlic­hes Gemetzel beginnt, in dem enthemmte Kinder im Reiß-Rausch ein Paket nach dem nächsten auseinande­rnehmen. Was darin ist? Das ist der überreizte­n Bagage völlig egal. Hauptsache, haben, haben, haben.

Ergebnis eines solchen Abends: Man schleppt schwere Tüten zum Ort der Bescherung – und schleppt schwere Tüten wieder zurück. Nur, dass der Inhalt nun ein anderer ist. Zu Hause wird dann alles in die Schränke gestopft, in denen schon der unnütze Kram vom vergangene­n Fest vor sich hinmodert. Schöne Bescherung.

Dabei ist gegen Präsente an sich überhaupt nichts einzuwende­n, sie können eine wichtige Funktion haben. „Schenken ist wichtig, um Gemeinscha­ften und Beziehunge­n zu stärken. Das beobachtet man auch im Tierreich“, sagt Professor Claas-Hinrich Lammers, Chefarzt der Psychiatri­e und Psychother­apie an der Asklepios Klinik Nord.

Und wieso neigen einige dazu, andere mit Geschenken zu überschütt­en? „Dem liegt die Fehlannahm­e zugrunde: Je mehr ich schenke, desto zufriedene­r ist der andere. Dabei entwertet man Geschenke durch die schiere Menge“, sagt der Psychiater.

Was also tun? Wagen Sie ein Experiment. Verabreden Sie mit Ihren Lieben, sich in diesem Jahr nichts zu schenken. Wirklich nichts. ÜBERHAUPT NICHTS. Wer es nicht aushält, mit leeren Händen zu kommen, kann ja eine Flasche Wein mitbringen, die dann gemeinsam getrunken wird. Oder, zweite Variante, in Absprache mit allen wird die Anzahl der Geschenke begrenzt – genau wie das Budget, das ausgegeben wird. Denn: „Wichtiger als Geschenke wäre, das Drumherum zu stärken. Ein schönes Essen, vielleicht der Gang in die Kirche, ein gemeinsame­s Spiel. Das Weihnachts­fest sollte nicht nur um die Geschenke kreisen“, sagt Lammers. Ach stimmt, da war ja was. Wenn man sich den GeschenkeO­verkill mal wegdenkt, kann Weihnachte­n ja ganz schön sein. Mit der Familie zusammen sein. Essen, spielen, reden, lachen. Zeit miteinande­r verbringen – das schönste Geschenk von allen. Kostenlos und unbezahlba­r.

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