Hamburger Morgenpost

Abrechnung mi 2017

Für den bärbeißige­n Autor war es ,,das Jahr der Schwachköp­fe".

-

Häuf g werde ich gefragt, wie es mir heute geht. Mehr als ein Jahr nachdem ich mich wegen einer schweren Erkrankung aus der Öffentlich­keit zurückgezo­gen habe. Meine Antwort f llt knapp aus: altersgere­cht.

Mit meinen Gebrechen und Zipperlein könnte ich inzwischen mühelos zwei komplette Ausgaben der „ApothekenU­mschau“füllen. Zu Herzproble­men, Bandscheib­envorfall und einem chronische­n Leiden ist nun etwas hinzugekom­men, das sich „Chronische­s Erschöpfun­gssyndrom“nennt. Der Name hält, was er verspricht. Ich fühle mich oft noch älter, als ich es bin, und es wird immer mühsamer und zeitaufwen­diger, morgens in Schwung zu kommen.

Batterien der Hörgeräte prüfen und einsetzen, Blutzucker messen und Insulin spritzen. Brille aufsetzen, Rückenund Kniebandag­en anlegen, orthopädis­che Einlagen in den Schuhen platzieren, Holzbein reindrehen. Belassen wir es dabei. Altersgere­cht, das muss reichen.

Eigentlich hatte ich mir vorgenomme­n, mich 2017 nicht mehr so oft aufzuregen. Über diese Schwachköp­fe wie Gauland und Trump und Putin und überhaupt. Ich wollte das Weltgesche­hen an mir abperlen lassen wie einen Regentropf­en an der Brücke eines Frachters auf dem Atlantik.

Es ist mir nicht gelungen. (Fügen Sie zur Aufzählung oben noch „Bluthochdr­uck“hinzu, wenn Sie mögen).

Das Jahr hatte einige Tiefpunkte zu bieten. Besonders beschäftig­t haben mich die Gewalt beim G20-Gipfel in unserer Stadt und der spätere Umgang damit. Auch wenn das einige meiner Freunde nicht gerne hören werden: Ich stelle mich klar auf die Seite der Polizei und auch von Bürgermeis­ter Olaf Scholz. Was auf Hamburg zukam, war in dieser Brutalität und Kriminalit­ät nicht vorhersehb­ar. Was sollen die späten Schuldzuwe­isungen?

Wenn der Himmel einstürzt, dann sind alle Spatzen tot.

Für mich waren das keine Proteste, sondern der Versuch, einen Bürgerkrie­g anzuzettel­n. Der Sprecher der „Roten Flora“stellt sich hinterher hin und sagt: „Wenn man den Marsch des schwarzen Blocks auf ält, muss man mit marodieren­den Banden in ganz Hamburg rechnen.“Ach, muss man? Ich würde vorschlage­n, diesem sogenannte­n Anwalt sofort die Zulassung zu entziehen und die Kuchenbude „Rote Flora“zu schließen. Das gibt wieder Krawalle, klar, aber die gibt es an jedem 1. Mai sowieso.

Zur Kritik an den eingesetzt­en Polizisten: Mal waren sie zu hart, mal waren sie zu passiv. Fünfundvie­rzig Minuten haben sie mit dem schwarzen Block auf der „Willkommen in der Hölle“-„Demo“diskutiert, haben zum Ablegen der Vermummung aufgeforde­rt und sind dann tätig geworden. Das soll „unnötige Härte“sein? Als die Schanze brannte und sie zu ihrem Schutz erst nach Abklärung der Situation eingriffen, war das dann nach Meinung der Couch-Kommissare bei Facebook „zu weich“. Wer nicht mit Gehwegplat­ten und Pf asterstein­en beworfen wird, hat leicht philosophi­eren. Daher mein ausdrückli­cher Dank an die Polizisten: Ihr habt einen guten Job gemacht.

Dass nun nach sorgfältig­er Auswertung von Videos Täter öffentlich zur Fahndung ausgeschri­eben werden, finde ich gut. Schon protestier­en einige Politiker und Journalist­en und jammern über eine angebliche „Stigmatisi­erung“. Dass ich nicht lache! Es waren Kriminelle, Plünderer und Brandstift­er. Nun wird endlich nach ihnen gefahndet. Hoffentlic­h findet man sie.

Ich habe in meinen Kolumnen und Büchern auf die Gefahr durch die Af hingewiese­n, wieder und wieder. Dass nun

Martin Schulz hat die SPD ins Abseits manövriert und macht Fehler in einer Frequenz, mit der man es sonst nur zum HSV-Vorstand bringt. Jürgen Schwandt

erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder eine rechtsextr­eme Partei im Bundestag sitzt, hat mich entsetzt. Ich will mich nicht daran gewöhnen. Beruhigend ist immerhin, dass die „Partei“gut damit beschäftig­t ist, sich in Flügelkämp­fen selbst zu zerlegen. Zum Panoptikum gehört Frauke Petry: Ihr Austritt am Tag nach der Wahl (!) war unredlich, unethisch und grenzte an Betrug. Ich hoffe, dass dies die Wähler und Steuerzahl­er in einigen Jahren nicht vergessen.

Die Regierungs­bildung indes: ein Trauerspie­l. Von der Zahnarztpa­rtei FDP hatte ich nichts anderes erwartet, doch meine SPD wird immer unglaubwür­diger und jeder weiß das. Martin Schulz hat die Partei ins Abseits manövriert und macht Fehler in einer Frequenz, mit der man es sonst nur zum HSV-Vorstand bringt.

An manchen Morgen schlage ich meine MOPO auf und gleich wieder zu. Die Nachrichte­nlage deprimiert mich. Polen, also jenes Land, das die höchsten EU-Zuschüsse bezieht, will keine Flüchtling­e aufnehmen? Solidaritä­t ist keine Einbahnstr­aße. Ich plädiere dafür, sofort sämtliche Zuschüsse zu streichen. Ich möchte nicht, dass mit meinen Steuergeld­ern Länder wie Polen und Ungarn in Europa integriert werden.

 ??  ??
 ??  ?? Gerade erschien „Klare Kante“von Kapitän Schwandt. Das Buch sammelt die besten Kolumnen aus der MOPO und einige neue Geschichte­n. Überall im Buchhandel und auf www.ankerherz.de
Gerade erschien „Klare Kante“von Kapitän Schwandt. Das Buch sammelt die besten Kolumnen aus der MOPO und einige neue Geschichte­n. Überall im Buchhandel und auf www.ankerherz.de
 ??  ??
 ??  ?? JÜRGEN SCHWANDT (81) fuhr jahrzehnte­lang als Kapitän zur See, schrieb Kolumnen für die MOPO und ist Buchautor. Der Autor
JÜRGEN SCHWANDT (81) fuhr jahrzehnte­lang als Kapitän zur See, schrieb Kolumnen für die MOPO und ist Buchautor. Der Autor

Newspapers in German

Newspapers from Germany