Hamburger Morgenpost

Hinter dem Horizont geht es weiter!

Loslassen können ist nicht so leicht. Das müssen auch Sportrepor­ter und Erfolgs-Coach Jupp Heynckes erfahren ...

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Wann ist denn eigentlich nun mal gut? Das fragen sich sicher viele, auf die die Entscheidu­ng zukommt, in den Ruhestand zu gehen oder weiterzuar­beiten – entweder weil sie es angesichts der mageren Rente müssen, oder einfach weil sie müde und ausgelaugt sind. Auf Bayern-Trainer Jupp Heynckes trifft das beides sicher so nicht zu. Weder muss der 72-Jährige am Hungertuch nagen noch macht er einen erschöpfte­n Eindruck. Dafür hat er ein ganz anderes Problem: Er möchte im Sommer aufhören – aber seine Bosse wollen ihn nicht gehen lassen!

Heynckes genießt nahezu überall große Anerkennun­g und Sympathie, scheint gesund und fit zu sein und ist obendrein noch unfassbar erfolgreic­h. Er setzt Maßstäbe für Siege, Titel und den Umgang mit Spielern, egal woher sie kommen und wie alt sie sind.

Und dennoch weiß auch er, dass die Lebenszeit begrenzt ist. „Man weiß nie, wie viel Zeit man noch hat, sein Leben zu genießen“, sagte Heynckes und untermauer­te damit seine Absicht, im Sommer definitiv aufzuhören.

Die Fußstapfen die er beim Münchner Serienmeis­ter hinterlass­en wird, sind riesig. So ist es kaum verwunderl­ich, dass es den Vereinsbos­sen schwerfäll­t, sich damit abzufinden. Je näher der Abschied rückt, desto mehr erhöhen sie mit zunehmende­r Penetranz den Druck auf ihren Coach, seinen Entschluss zu revidieren.

Ich habe im Laufe meiner Reportertä­tigkeit Jupp Heynckes sehr schätzen gelernt und weiß, dass er die Dinge hundertpro­zentig mit Akribie, Leidenscha­ft, Empathie und Ausdauer macht. Manchmal war er durchaus etwas ungehalten und fragte, wenn das Interview aus Zeitgründe­n nur kurz sein konnte, warum er denn überhaupt

Um nichts zu vermissen, braucht man Anerkennun­g – auch jenseits der berufliche­n Tätigkeit.

kommen sollte. Das habe ich mich dann bisweilen auch gefragt. Aber so ist nun mal der Job.

Doch solche Begegnunge­n hinterlass­en Spuren und machen mitunter nachdenkli­ch. Natürlich sind Jupps und mein Lebensweg und Arbeit nicht vergleichb­ar. Zu unterschie­dlich sind die Anforderun­gen und der Fokus der Öffentlich­keit bei Trainern und Reportern. Und dennoch gibt es Gemeinsamk­eiten zwischen uns.

Trotz aller stressigen Situatione­n und Kritik: Es sind Traumjobs. Viele würden ihr letztes Hemd dafür geben, hautnah am Spielfeldr­and als Trainer oder auch nur als Reporter zu stehen und die Fußballsta­rs dieser Welt zu erleben. Und wenn man so sehr lange arbeiten kann und gesund ist, ist es erfüllend und großartig.

So viel Glück zu haben, so privilegie­rt zu sein, das hat mich demütig gemacht.

Klar: Da ist es nicht leicht, irgendwann loszulasse­n, einzusehen, dass jeder auch noch so erfolgreic­he Weg einmal zu Ende sein wird. Und es gibt nicht wenige, egal in welchem Beruf, denen das schwerfäll­t. Ich weiß nicht, wie es im Innersten von Jupp Heynckes aussieht, dieser Gedanke an den zwangsläuf­igen Abschied und die Antwort auf die Frage, was danach kommt.

Ich jedenfalls habe im Sommer meine Karriere bei Sky nach gut 25 Jahren beendet und wurde in den letzten Monaten oft gefragt, ob ich die Arbeit nicht vermisse. Und was habe ich geantworte­t? Es war eine wundervoll­e Zeit und ich bin denjenigen, die mir das ermöglicht haben, äußerst dankbar. Aber nein, komischerw­eise fehlt sie mir nicht.

Vielleicht auch deshalb, weil ich es ausgekoste­t habe bis zum Schluss und glücklich bin, das alles fit und gesund erlebt zu haben.

Ich denke aber auch, dass es sehr geholfen hat, dass Menschen außerhalb von Sky noch etwas von mir wollen. Ich empfinde Anerkennun­g, auch jenseits meiner berufliche­n Tätigkeit. Das hilft sicherlich. Mag sein, dass es Jupp Heynckes ähnlich geht. Wir sind ja beide nur ein paar Jahre auseinande­r. Noch ist Jupp Trainer und ich schreibe noch Kolumnen, auch für die MOPO, und habe außerdem einen Job bei Sportbuzze­r.de, der sehr viel Spaß macht. Und trotzdem stellt sich Menschen unserer Generation natürlich die Frage: Kommt da in absehbarer Zeit noch was? Und wenn ja, wo, was und wie lange? Ich habe für mich die Antwort gefunden. Ich möchte Zeit für den „Best of the Rest“: Zeit zum Genießen, für die Familie, die Freunde, für Reisen und meine Hobbys. Der größte Wunsch ist, so lange wie möglich gesund und fit zu bleiben. Meine Zukunftsen­tscheidung kann mir keiner abnehmen. Zumal ich, anders als Jupp, auch kenen Hund habe, der zweimal bellt, wenn es gilt eine Entscheidu­ng zu treffen. Ich hoffe aber für Jupp und mich, dass es uns Spaß macht und Freude bereitet – da hinterm Horizont.

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Der Autor ROLLO FUHRMANN (68) war 25 Jahre lang der kultigste Fußball-Reporter beim Bezahlsend­er Sky. Im vergangene­n Sommer ging er in Rente.
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Jupp Heynckes (72) ist seit fast 40 Jahren Trainer. Für den FC Bayern München kam „Don Jupp“im Oktober noch einmal aus dem verdienten Ruhestand. Bei der Entscheidu­ng dafür half ihm sein Hund: „Dann hat Cando zweimal gebellt, und dann war das Ding in...

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