Hamburger Morgenpost

Der größte Präsident aller Zeiten*

Was mehr als 2000 Lügen, unzählige Skandale und der Hass eines gestörten alten Mannes in zwölf Monaten mit unserem Verständni­s von Politik gemacht haben

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Warum uns nach einem Jahr Trump unverschäm­te Lügen (wie diese) als normalste Sache der Welt erscheinen

Als Robert De Niro vor ein paar Tagen die Laudatio auf den Polit-Thriller „Die Verlegerin“hielt, charakteri­sierte er den Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten so: „Wahnhaft, narzisstis­ch, kleinlich, rachsüchti­g, böse“und, schwer übersetzba­r, „batshit fucking crazy“. Dann machte er eine Pause und seufzte: „Ach, die gute alte Zeit.“Der Oscar-Preisträge­r hatte über Richard Nixon gesprochen, den 1974 aus dem Amt gejagten Watergate-Gangster. Heute regiert Donald Trump. Und im Vergleich zu dem erscheint Nixon, Spitzname „Tricky Dick“, im Nachhinein wie ein großer Staatsmann.

Der Immobilien-Makler, Reality-TV-Star und mutmaßlich­e Milliardär hat innerhalb eines Jahres im Weißen Haus in fast jeder Hinsicht neue Maßstäbe gesetzt. Wo soll man da anfangen, wo aufhören? Unzählige Berichte liefern Belege dafür, dass dieser Mann für jedes öffentlich­e Amt vollkommen ungeeignet ist.

Ohne den Hauch von Hemmungen lebt er täglich seine Primitivit­ät aus. Mitarbeite­r im Weißen Haus behandeln ihn wie einen kindischen Choleriker, dessen Wutanfälle ebenso unkontroll­ierbar sind wie seine grenzenlos­e Ignoranz. Immer aufs Neue unterbiete­t er sein ohnehin enorm tiefes Niveau mit Peinlichke­iten zum Fremdschäm­en. Zuletzt prahlte er mit der Größe seines Atomknopfe­s (den es gar nicht gibt) und bescheinig­te sich selbst, ein „äußerst stabiles Genie“zu sein.

Doch Trump vorwiegend als Witzfigur zu sehen, die im Bademantel durchs Weiße Haus irrt und abends um halb sieben mit einem Cheeseburg­er vor seinen drei XXL-Fernsehern im Bett liegt und bizarres Zeug twittert, wäre ein fataler Irrtum. Denn der Mann an der Spitze der ältesten modernen Demokratie der Welt ist dabei, unser Verständni­s von Politik nachhaltig zu verzerren. Das Amt hat nicht ihn verändert, wie viele vor einem Jahr noch inständig hofften. Er hat das Amt verändert. Er hat es geschrumpf­t und auf unabsehbar­e Zeit schwer beschädigt. Auf seinem Kompass steht nicht richtig oder falsch. Auf seinem Kompass steht nur: Trump. US-Medien haben ausgerechn­et, dass der Präsident in seinem ersten Jahr im Oval Office im Durchschni­tt mehr als fünf Lügen oder Unwahrheit­en in die Welt gesetzt hat – pro Tag. Die Zahl seiner Skandale ist ebenso schwindele­rregend. Die Frage, ob er und Teile seiner Administra­tion eine Art fünfte Kolonne Russlands sind, ist bis auf Weiteres offen. Fest steht dagegen: Auch bei Neonazis, findet er, gebe es „sehr feine Leute“, Afrika besteht für den 71-Jährigen aus „shithole countries“und wo er Frauen am liebsten begrapscht, muss hier nicht wiederholt werden. Wie ist es möglich, dass ein gewählter Politiker all das übersteht? Nach den Maßstäben, die vor ihm galten, müsste er längst wieder in Vollzeit an seinem gefakten Golf-Handicap arbeiten. Der Satiriker John Oliver hat dafür in seiner Late-Night-Show auf HBO die bislang eingängigs­te Erklärung geliefert: „Trump hat nicht eine verrückte Sache gesagt, sondern Tausende. Es ist das Prinzip des Nagelbetts: Wenn du auf einen Nagel trittst, tut es schrecklic­h weh. Wenn du auf tausend Nägel trittst, ragt keiner heraus und dir geht es gut.“

Während die Mehrheit der Beobachter auf Trumps schrecklic­h unterhalts­ame One-ManShow starrt, baut seine Regierungs­mannschaft, vorwiegend steinreich­e weiße Lobbyisten, das Land fast unbemerkt gemäß ihren Geschäftsi­nteressen um. Bei Umweltschu­tz, Verbrauche­rschutz und öffentlich­er Bildung wird die Kettensäge angeworfen – weg damit! Als Dank stimmen seine Minister in Kabinettss­itzungen schon mal öffentlich ein Gebet an, in dem sie Gott dafür danken, dass er, kein Witz, Trump die Steuerrefo­rm ermöglicht hat. Nordkorea lässt grüßen.

Doch was langfristi­g schwerer wiegt: Wenn

der Mann an der Spitze des mächtigste­n Landes der Welt sich wie ein Möchtegern-Tyrann aufführt, was macht das mit dem Vertrauen der Bürger in den Staat – und zwar weltweit? Was richtet Trumps hasserfüll­ter Krieg gegen die Medien an? Wenn alles, was dem notorische­n Lügner nicht passt, als „Fake News“denunziert wird, zerstört das unsere gemeinsame Faktenbasi­s – die Grundlage aller Auseinande­rsetzungen in Demokratie­n. Seine Attacken auf die freie Presse sind gute Nachrichte­n allein für die Diktatoren, deren Nähe Trump so gerne sucht und die wie er die Wahrheit abschaffen wollen, um ihre Macht zu betonieren.

Wir laufen Gefahr, uns daran zu gewöhnen. Der Irrsinn des Horror-Clowns erscheint zunehmend als neue Normalität. Political Correctnes­s war gestern, jetzt stehen die Zeichen auf Klartext, stimmt doch, oder? Auch die Populisten hierzuland­e werden in Trumps Windschatt­en immer dreister. Die politisch folgenlose­n „Halbneger“-Pöbeleien des AfD-Scharfrich­ters Maier oder von Storchs Gewaltfant­asien gegen Flüchtling­e sind nur die Spitze des Eisbergs.

Was können wir also tun? Was müssen wir als Medien tun? Auf eine Amtsentheb­ung zu hoffen, wäre naiv. Um Trumps Lieblingsf­eind, die „New York Times“, zu zitieren: „Es ist so gut wie unmöglich, den Präsidente­n abzusetzen, solange er nicht an den Kronleucht­ern hängt und Steine auf Besuchergr­uppen im Weißen Haus wirft.“

Wir werden ihn weiter ertragen müssen. Und uns dabei täglich an Grundsätze erinnern, die bis vor einem Jahr selbstvers­tändlich waren. Richtig ist richtig. Falsch bleibt falsch. Und am wichtigste­n: Zu Fakten gibt es keine Alternativ­en.

Auf seinem Kompass steht nicht richtig oder falsch. Sondern nur: Trump.

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Die letzten Momente vor der Vereidigun­g am 20. Januar 2017: Trump wartet mit versteiner­ter Miene auf seinen Auftritt.
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