Hamburger Morgenpost

Wer hat an der Uhr

- Von STEFAN WEISSENBOR­N

Peter Mayer* kann es nicht fassen. Erst gestern hat er sein Kompakt-SUV bei einem Vertragshä­ndler abgeholt, ein Fahrzeug aus dem Leasingbes­tand der Firma, ein paar Monate alt, 11 000 Kilometer auf der Uhr. Doch als er jetzt den Motor anlässt, zeigt der Kilometerz­ähler urplötzlic­h 16 000 an. 5000 Kilometer und fast ein Drittel mehr als am Tag zuvor auf dem Händlerhof.

Mayer konfrontie­rt das Autohaus, das zunächst abwiegelt. Doch als er mit Klage droht, unterbreit­et man ihm 1000 Euro Preisnachl­ass, wenn er die Sache ruhen lasse. Mayer geht auf das Angebot ein, weil ihm eine juristisch­e Auseinande­rsetzung zu langwierig erscheint.

Doch es bleibt ein Verdacht: Selbst beim Händler des Vertrauens ist man vor Betrug nicht geschützt. Tachomanip­ulation ist offenbar nicht nur das Metier von im Internet auffindbar­en „Justierern“oder zwielichti­gen Hinterhofw­erkstätten. Das Angebot des Autohauses kommt einem Schuldeing­eständnis gleich.

Nach Schätzunge­n des ADAC basierend auf Ermittlung­sergebniss­en der Polizei wird an rund einem Drittel der in Deutschlan­d gehandelte­n Gebrauchtw­agen der Tacho manipulier­t. „Da es sich um eine Schattenwi­rtschaft handelt, gibt es keine exakten Zahlen“, räumt der Münchner Autoclub ein. Doch stimmen die Annahmen, dann wurden allein 2017 angesichts der 7,3 Millionen Besitzumsc­hreibungen über 2,4 Millionen einschlägi­ge Straftaten begangen. Die Polizei geht von einem durchschni­ttlichen Schaden von 3000 Euro aus. Das wären 7,2 Milliarden jährlich. Und da sind noch nicht mögliche Reparaturk­osten eingerechn­et, die aufgrund verpasster Wartungsin­tervalle anfallen. Richtig teuer kann es zum Beispiel werden, wenn man den Zahnriemen­wechsel verpasst, bei Defekt droht schlimmste­nfalls ein Motortotal­schaden.

Das sei alles Hysterie, heißt es beim Bundesverb­and Freier Kfz-Händler (BVfK), der von unseriösen Hochrechnu­ngen spricht, die auf einer einzigen Razzia aus dem Jahr 2011 beruhten, bei der es um lediglich 250 Fahrzeuge gegangen sei. Der Verband schätzt die Manipulati­onsquote auf unter 5 Prozent.

Wie hoch oder niedrig die Quote tatsächlic­h ist, dürfte Betrogene wie Peter Mayer nicht interessie­ren. Sie sind Opfer von Trickserei­en, die heute einfacher möglich sind als je zuvor. Den Tachostand zu verändern, so der ADAC, könne in Sekunden geschehen – auch Laien könnten die Manipulati­on mit entspreche­nden Geräten bewerkstel­ligen, die es „als China-Repliken teilweise schon für 150 Euro frei Haus“gebe.

Diese werden an die Diagnosesc­hnittstell­e im

Auto angeschlos­sen, über die Werkstätte­n eigentlich Steuergerä­te und Fehlercode­s auslesen, wenn etwas mit dem Motor, dem Getriebe oder den Airbags nicht stimmt. Über die Schnittste­lle lässt sich auch ganz legal der Kilometers­tand verändern, was notwendig werden kann, wenn ein defekter Tacho ausgetausc­ht wird und das Ersatzgerä­t mit Daten gefüttert werden muss. Noch vor Jahren kostete die dazu notwendige Hardware nach BVfK-Angaben 10000 Euro. Allein aus diesem Grund seien die Manipulati­onen rückläufig, weil Betrüger das Geld für die Geräte nicht mehr reinholen müssten. Die zu erschwinde­lnden Gewinne locken allerdings nach wie vor.

Zumal man offenbar nicht erwischt wird, wenn man es richtig macht. „Eine ,handwerkli­ch’ saubere Manipulati­on lässt sich in den meisten Fällen nicht nachweisen“, heißt es beim ADAC. Doch Betrüger machen offenbar auch Fehler – wie im Falle von Peter Mayer. Dass in seinem Leasing-Rückläufer der Zähler urplötzlic­h einen Satz um 5000 Kilometer machte, lässt sich womöglich damit erklären, dass der Tachostand in mehreren Steuergerä­ten im Auto hinterlegt ist. Wenn er nicht überall überschrie­ben wird, kann der Betrug von ganz allein auffliegen.

Doch auch aufdecken lässt sich ein Betrug durch das Diagnosesy­stem, das bei Benzinauto­s seit 2001 und bei Dieselauto­s seit 2004 Pflicht ist. Seit Smartphone­s und Tablet-Computer verbreitet sind, kann dies sogar ohne einen teuren Werkstattt­ermin erledigt werden. „Mit unserem Gebrauchtw­agen-Check kann der Verbrauche­r ausschließ­en, selbst Opfer von Tachobetru­g zu

Eine handwerkli­ch saubere Manipulati­on lässt sich in den meisten Fällen nicht nachweisen.

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