Wenn aus Liebe Hass wird
Vor zwei Jahren verätzte ihr Ex-Freund Vanessa Münstermann (29). Sie versteckt ihr entstelltes Gesicht nicht
HANNOVER – Ihr neues Tattoo hat sie sich in der Türkei stechen lassen: „Überlebende“steht in arabischen Schriftzeichen auf Vanessa Münstermanns Unterarm. Die 29-Jährige aus Hannover hat vor zwei Jahren ein Säure-Attentat ihres ExFreundes überlebt – seither ist ihre linke Gesichtshälfte zerstört, die junge Frau verlor ein Auge und ein Ohr. Doch die gelernte Kosmetikerin, die vor der Tat ständig Komplimente für ihr Aussehen bekam, versteckt sich nicht – im Gegenteil.
Vor einem Jahr gründete sie den Verein „Ausgezeichnet“, um Menschen in ähnlicher Lage zu helfen. An diesem Sonntag lädt sie rund 150 Unterstützer und Opfer von Verbrennungen oder Verätzungen zum Empfang in ein Kino ein. Dann wird auch der Film „Wenn aus Liebe Hass wird“in der Reihe „Menschen hautnah“gezeigt. Der WDR strahlt ihn am Jahrestag des Anschlags (Donnerstag, 22.40 Uhr) aus.
In dem Film äußert sich auch der Täter schriftlich, zeigt aber keine Reue. Als die Hannoveranerin am 15. Februar 2016 mit ihrem Hund morgens um den Block ging, trat ihr ExFreund Daniel aus einem Gebüsch und schüttete ihr die Schwefelsäure ins Gesicht. Er sitzt eine zwölfjährige Haftstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung ab.
Der Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden“gilt in Vanessas Fall nicht. Erst vor Weihnachten hat ihr der Täter wieder einen Brief aus dem Gefängnis geschrieben. „Du bist genug bestraft mit deinem Aussehen und wenn ich dich töten würde, wär das nur dumm von mir“, stand darin. Sie lüge und sei selber schuld. Vanessa Münstermann ging zur Polizei. „Dort sagte man mir, dass sie nichts machen können und dass es darin keinen Anhaltspunkt für Ermittlungen gibt.“
Ihre Angst sei größer geworden, sagt die junge Frau. „Denn jetzt habe ich etwas zu verlieren.“Vanessa streichelt während des Gesprächs immer wieder über ihren Babybauch. Seit knapp einem Jahr hat sie wieder einen Freund – ihre Jugendliebe, zu der sie nie ganz den Kontakt verloren hatte. Kurz nach dem Besuch beim Tätowierer in der Türkei erfuhr sie, dass sie schwanger ist. Das Paar sucht jetzt eine Wohnung.
Im Moment lebt Vanessa, die gestern Geburtstag feierte, von monatlich 500 Euro Opferentschädigung und 500 Euro Erwerbsminderungsrente. Mehrere Operationen sind noch nötig, aber jetzt steht das Baby im Mittelpunkt. Zudem arbeitet sie an einem Buch.
Eine Frau aus der Nähe von Köln, die vor Jahren Ähnliches erlebte, sei ein Vorbild, betont sie.
Rund 700 000 Menschen erleiden pro Jahr in Deutschland eine Verbrennung, dazu zählen auch Opfer von Strom oder Säure.