Wenn der Sohn zum Killer wird
Axt-Mord in Reinbek Schwester, Vater und Mutter berichten, wie sich Felix B. langsam wandelte – vom geliebten Sohn und Bruder zum kaltblütigen und kranken Mörder. Morgen startet der Prozess
Sie hat gewusst, dass es in einer Tragödie endet. Zwei Jahre lang hat Lena Bremer* versucht, das Drama aufzuhalten. Gemeinsam mit ihren Eltern wollte sie eine Therapie für ihren kranken Bruder Felix B. (32) erreichen, notfalls gegen seinen Willen. Doch alle Bemühungen schlugen fehl. Es kam zum erwarteten Drama: Blutig. Brutal. Krank.
Ein altes verwildertes Haus an der Stemwarder Straße in Reinbek (Kreis Stormarn). Hier wurde Gunnar G. (†65) im vergangenen August auf brutalste Weise ermordet. Mehrmals schlug sein Mörder mit einer Axt auf ihn ein. Mutmaßlicher Täter: sein Stiefsohn Felix B. Nach seiner Tat soll er das TodesWerkzeug einfach neben dem toten Körper liegen lassen haben. Nur einen Tag später wurde er in Neuallermöhe festgenommen.
Doch wie schuldfähig ist Felix B.? Eine zentrale Frage im morgen in Lübeck startenden Prozess. Ärzte haben bei dem 32-Jährigen eine seelische Krankheit diagnostiziert, eine paranoide Schizophrenie, an der nur etwa ein Prozent der Bevölkerung leidet. Er soll seine Tat im Wahn, in einer Parallelwelt begangen haben.
Claas-Hinrich Lammers, Chefarzt der Psychiatrie der Asklepios Klinik Nord: „Erkrankte werden getrieben von extremen Wahnvorstellungen. Ihre Gemütslage ist dadurch sehr schwankend. Und immer unberechenbar.“
So erzählt es auch Lena Bremer. 2015 hatte sie sich ein neues Leben in Neuseeland aufgebaut. Ihr Bruder kam sie besuchen, erzählte wirres Zeug, sagte, der japanische Geheimdienst sei hinter ihm her. „Die wollen mich foltern, bis ich 113 Jahre alt bin“, soll er gesagt haben. Es sei schlimmer als jeder Psychothriller gewesen, so Lena Bremer.
„Damals in Neuseeland“, so sagt sie, „war der Abschied von dem Bruder, den ich einst hatte.“Er war nicht mehr der verschlossene ernste, aber dennoch liebenswerte und hilfsbereite Sturkopf. Er war krank.
Sie zog kurz darauf wieder zurück nach Berlin, um ihn von einer Therapie zu überzeugen. Vergeblich. Was ist er heute für sie? „Ein kranker Restmensch“, sagt sie. „Jemand, der jederzeit zum Monster mutieren kann.“
Karl Baumann* (67), Ingenieur in Rente und nach der Trennung von seiner Frau vor mehr als 30 Jahren Teilzeit-Vater von Felix B. Als sein Sohn Anfang 20 ist, wird der Kontakt enger. Er besorgt seinem Jungen eine Wohnung in Berlin, der macht eine Lehre, holt sein Abitur nach und fängt an zu studieren. „Ich war stolz wie ein Spanier auf den Burschen“, sagt der Vater.
Dann habe Felix im Sommer 2015 behauptet, dass Russen hinter ihm her seien. „Völlig irre Sachen.“Kurz darauf bringen Vater und Tochter Felix B. dazu, in eine psychiatrische Klinik zu gehen. Nach einem Gespräch mit einem Arzt empfiehlt dieser, dass Felix B. dableiben solle. Doch der weigert sich. „Da kann man nichts machen“, soll der Arzt laut Baumann gesagt haben. Es stehe Felix frei, zu gehen.
Karl Baumann sieht seinen Sohn danach öfters im
„Er sagte, der japanische Geheimdienst wäre hinter ihm her.“Lena Bremer, Schwester
Park, Alufolie über dem Kopf, verwahrlost. „Er hat mir gesagt, so könnten sie ihn nicht abhören.“Gemeinsam mit Tochter Lena versucht er, bei Gericht einen Betreuer für Felix zu bestellen. Der Antrag sei abgelehnt worden, sagen beide. Begründung: Es sei ja nichts vorgefallen. Noch nicht.
Anfang 2016 greift er seine Schwester an, nachdem die ihren Bruder aufsuchte, weil der sich seit Tagen nicht gemeldet hatte. Die Polizei bringt Felix in die Klinik. Am nächsten Morgen, so erinnert es Lena Bremer, ruft sie dort an: „Lassen Sie ihn bloß nicht gehen.“Die Antwort: Er sei schon weg, nicht auffällig in der Nacht gewesen. Lena Bremer sagt, sie habe Strafanzeige gegen ihren Bruder erstattet. Damit habe sie eine Therapie erreichen wollen. Das Verfahren sei eingestellt worden. Begründung: Familienstreitigkeiten.
Im Januar 2017 zieht er zu einer Freundin nach Hamburg. Sie kennt seine Vorgeschichte nicht. Nach wenigen Tagen erzählt er auch ihr wirre Geschichten – und schlägt sie, berichtet Felix’ Mutter Karin Bremer*. Kann sie ihren Sohn noch lieben? „Ja“, sagt sie. „Ich kann ihm auch verzeihen. Weil das nicht mein Kind war, das diese Tat begangen hat, sondern ein kranker Mensch.“Ihr Vertrauen hat sie in den Staat verloren. „Er war gefangen in seiner Krankheit“, sagt sie. „Und dann sprechen sie von seiner persönlichen Freiheit, sich gegen eine Therapie zu entscheiden.“Und das gelte mehr als der Schutz der Allgemeinheit? „Meinem Mann wurde seine persönliche Freiheit genommen. Er ist tot.“Und sie ist sich sicher: Wäre sie am Tag des Mordes auch am Stemwarder Weg gewesen, ihr Sohn hätte auch sie kaltblütig ermordet. (*Name geändert)
„Wäre ich zu der Zeit da gewesen, hätte er auch mich kaltblütig ermordet.“Karin Bremer, Mutter