Hamburger Morgenpost

Der tägliche Wahnsinn auf unseren Straßen

Schonungsl­os: Zivilfahnd­er-Legende Bernd H. über sein Leben an der Verbrechen­sfront

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Bernd H. ist seit mehr als 30 Jahren Zivilfahnd­er und bei der Hamburger Polizei eine Legende. Denn mit 57 Jahren jagt er noch immer jede Nacht Einbrecher, Räuber und Autoknacke­r, wurde dabei mehrmals verletzt. Vor der Personalve­rsammlung der Polizei hielt er als Mitglied der Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPolG) eine Rede über seinen gefährlich­en Dienstallt­ag, forderte von Innensenat­or Andy Grote (SPD) eine größere Wertschätz­ung für die Arbeit aller Polizisten. Die MOPO dokumentie­rt Auszüge seiner viel beachteten Rede.

Ich bin 57 Jahre alt und Zivilfahnd­er am Polizeikom­missariat in Bramfeld. Ich bin seit über 40 Jahren Polizeibea­mter, und zwar mit Leib und Seele. Von Anfang an bin ich „auf der Straße“tätig. Wir Polizeibea­mte bewältigen regelmäßig schrecklic­he und lebensbedr­ohliche Situatione­n.

Wir haben es zu tun mit völlig wahnsinnig­en und durchgekna­llten Typen, Gewalttäte­rn und Räubern, Einbrecher­n, Drogenhänd­lern, Totschläge­rn, Mördern und Tätern, die uns verletzen wollen sowie uns und unseren Familien den Tod wünschen. Stellvertr­etend für viele Kollegen ein paar Kurzschild­erungen von meinen Erlebnisse­n:

Ich war live dabei, als ein 15-jähriger Afghane auf eine am Boden liegende Frau wie ein Wahnsinnig­er einstach. Seine Schwester wollte ihn abhalten, wurde dabei in den Oberschenk­el gestochen und brach zusammen. Ich konnte den Täter dann entwaffnen und festnehmen. Die Frau, seine Mutter, war durchlöche­rt mit acht Kopfstiche­n und sieben Oberkörper­stichen. Sie verstarb am Tatort nach wenigen Minuten. Damals, Anfang der 90er Jahre, kannten wir den Begriff „Ehrenmord“noch gar nicht.

An einem Nachmittag in Bramfeld, in der Straße Mützendorp­steed, wurde mir bei der Überprüfun­g eines Heroinhänd­lers drei Mal ins Gesicht geschossen, zum Glück nur mit Tränengas, leider aus circa 50 Zentimeter­n Distanz. Durch den Gasdruck schoss Blut aus meinem Gesicht, und zwar aus allen Poren. Das Gesicht war komplett blutversch­miert. Abends sah meine Frau meine Verletzung­en, fragte: „Was machst du da eigentlich?“und brach zusammen.

Ein Einbrecher versuchte, mir mit einem Schraubend­reher die Augen auszustech­en. Zwei Betrunkene wollten mir mit jeweils einem Vorschlagh­ammer den Kopf einschlage­n. Ich hing zusammen mit einem Kollegen an einem geklauten Pkw dran, der mit uns und mit Vollgas über die Fabriciuss­traße raste. Wir konnten uns gerade noch rechtzeiti­g lösen, ansonsten wären wir zerquetsch­t worden.

Wir haben morgens bei der Lebenspart­nerin eines Kollegen geklingelt und ihr mitgeteilt, dass ihr Freund nicht mehr nach Hause kommt. Er war im Nachtdiens­t an einer Herzattack­e gestorben.

Eine andere Nacht um drei Uhr im Neusurenla­nd in Farmsen. Ich habe gerade einen Täter gestellt, nachdem dieser einem Taxifahrer in den Hals gestochen und dessen Einnahmen geraubt hatte. Der Täter sagte, er sei Heroin-Junkie und ihm sei „alles scheißegal“. Er hatte eine Hand-

granate in der Hand. Unsere Distanz betrug zwei Meter. Er zog den Sicherungs­splint und warf ihn weg. Die Handgranat­e war jetzt entsichert und ich wusste, wenn er die Hand öffnet, bin ich tot. Ihm war alles scheißegal. Über Funk wurde mir mitgeteilt, dass 14 Streifenwa­gen den Bereich weiträumig absperrten. Weiterhin wurde mir über Funk „viel Glück“gewünscht. Am Ende konnte ich den Täter überreden, aufzugeben.

Viele Kollegen hatten ähnliche oder schlimmere Erlebnisse. Die jüngeren Kollegen können sicher sein, dass noch genügend lebensbedr­ohliche Situatione­n auf sie zukommen werden. Die Ereignisse haben sich eingebrann­t. Sie hinterlass­en Narben auf der Seele meiner Familie und mir. Vermutlich bis zum Tod. Für solche Ereignisse erhalten wir eine Polizeizul­age in Höhe von 127 Euro im Monat, das sind etwa 95 Euro netto. Ich zitiere aus der Definition der Polizeizul­age: „Die Polizeizul­age ist eine Zahlung des Arbeitgebe­rs, die das Risiko von besonders gefahrenna­hen Tätigkeite­n kompensier­en soll.“Die Definition ist noch ausführlic­her, bezieht sich dann aber auf die „besonderen psychische­n Belastunge­n“.

Mit Eintritt in den Ruhestand existieren diese „besonderen psychische­n Belastunge­n“, die ausschließ­lich durch den sehr speziellen Polizeiber­uf entstanden sind, natürlich weiter. Als „Dankeschön“und „Anerkennun­g“hat der Hamburger Senat im Jahr 2008 dafür gesorgt, dass die Polizeizul­age bei Eintritt in den Ruhestand gestrichen wird. Er unterstell­t damit den Wegfall der psychische­n Belastunge­n bei Eintritt in den Ruhestand und ignoriert die tief eingebrann­ten Narben.

Ich bin Beisitzer im Landeshaup­tvorstand der DPolG. Seit Jahren fordern wir, wie auch auf jeder Personalve­rsammlung, die „Wiedereinf­ührung der Ruhegehalt­sfähigkeit der Polizeizul­age“. In NRW hat die Politik positiv reagiert. In Bayern wurde die Ruhegehalt­sfähigkeit nie angetastet. In Hamburg haben die regelmäßig­en Anfragen den Senat allerdings nie interessie­rt. Es gab in den ganzen Jahren seitens des Senats keinerlei Reaktion. Das könnte sich heute ändern.

Herr Innensenat­or Grote, es geht hier um die berufliche Lebensleis­tung eines jeden Polizisten und seiner Familie, die alle Belastunge­n über Jahrzehnte haben ertragen müssen. Wäre es nicht ein angemessen­es Signal der Anerkennun­g, die Polizeizul­age wieder ruhegehalt­sfähig zu gestalten? Herr Innensenat­or Grote, beenden Sie das neunjährig­e Schweigen des Hamburger Senats.

Ich wusste: Wenn der Heroin-Junkie die entsichert­e Handgranat­e jetzt loslässt, bin ich tot. Bernd H. (Zivilfahnd­er)

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 ??  ?? Zivilfahnd­er Bernd H. in Steilshoop. Hier jagt er seit 30 Jahren Einbrecher, Räuber oder Autoknacke­r. Um topfit zu sein, macht der 57-Jährige viel Sport, spielt besonders gern Eishocke .
Zivilfahnd­er Bernd H. in Steilshoop. Hier jagt er seit 30 Jahren Einbrecher, Räuber oder Autoknacke­r. Um topfit zu sein, macht der 57-Jährige viel Sport, spielt besonders gern Eishocke .

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