Nehmt die Fans ernst, anstatt zu drohen!
Der HSV hat Angst vor Teilen seiner Anhängerschaft. Unser Autor erklärt das Gefühlsleben der Hardcore-Fans und sagt: Das Problem ist hausgemacht
„Idioten“, „Das sind keine Fans“– am Sonnabend war es wieder so weit. Journalisten, Spieler und Vereinsoffizielle des HSV droschen die altbekannten Phrasen, die man schlägt, wenn wieder einmal Pyrotechnik gezündet wurde. Man war sich wieder einig, dass beim Nordderby im Auswärtsblock intellektuell herausgeforderte „so genannte“Fans am Werk waren, gegen die man mit Härte vorzugehen habe – und macht es sich damit mal wieder denkbar einfach.
So war es auch schon, als ich noch selbst in den Volkspark pilgerte, bis zum Sommer 2014. Zu dieser Zeit war ich gut 20 Jahre lang regelmäßiger Stadiongänger und auch Auswärtsfahrer. Die Erfolge des HSV waren in diesem Zeitraum recht übersichtlich und Grund zum Ärgern gab es genug. Auch damals schon sprach man den Fans ihr „Fansein“ab, wenn sie die Schnauze voll hatten und sich ihr Unmut in nicht immer nachvollziehbaren Aktionen Bahn brach.
Das war schon damals grundlegend falsch und das ist es heute noch mehr. Tatsächlich hat sich in der Fanszene sogar sehr vieles zum Positiven gewandelt, was aber gern vergessen wird. Als Stichwort sei hier exemplarisch das Thema Antidiskriminierung genannt.
„Nach der letzten Woche müssen wir gerade über die Fans auch nicht mehr viel reden“, sagte Angreifer André Hahn vor Wochenfrist zur MOPO. So ist das nämlich mit den Fußballfans: Wenn überhaupt, wird meist über sie geredet und nicht mit ihnen. Oft genug werden sie zu „hirnlosen Chaoten“abgestempelt. Und das hilft eben nicht nur nicht weiter, sondern es macht die Sache nur schlechter.
Als Reaktion auf die hochkochende Wut hat man für das Spiel gegen Mainz die Zäune vor der Nordtribüne erhöht und wird ausschließlich alkoholfreies Bier ausschenken. Das ist blanker Aktionismus, denn bei einer Niederlage gegen Mainz muss stark bezweifelt werden, dass ein Alkoholverbot die Aggressionen der Fans senkt.
Die Offiziellen und auch André Hahn müssten eigentlich nur einen Blick auf die aktuelle Bundesligatabelle der Dauerkartenpreise werfen, um zu wissen, was das Hauptproblem der HSVFans ist. Dort rangiert der HSV nämlich auf Platz 1. In der sportlichen Tabelle reicht’s nur für Platz 17. Wieder mal klaffen Anspruch und Wirklichkeit meilenweit auseinander.
Trotz dieser Diskrepanz halten die Fans ihrem Verein seit Jahren die Treue, reisen dem Club sogar zu Tausenden hinterher, wenn es zu Auswärtsspielen geht. Trotz der verheerenden Leistungen von Hahn und Co. waren erst letztens 8000 Fans in Dortmund anwesend – wie zu Europacup-Zeiten. Nächste Woche steht wieder die Höchststrafe an: München lautet das Ziel und die Anhänger werden sich wieder zu nachtschlafender Zeit aufmachen, um die zu erwartende hohe Niederlage zu erdulden.
München war für mich als HSV-Fan meist die Höchststrafe. Man zahlt ein Heidengeld für Anreise sowie Ticket und schlägt sich ganze Tage in stickigen Bussen und Zügen mit defekten Toilet-
ten um die Ohren, um am Ende meistens doch mit leeren Händen dazustehen, mit mehr als einem halben Dutzend Gegentore.
Und das sind nur die HSV-spezifischen Probleme. Hinzu kommen weitere „Errungenschaften“des Fußballs wie die Eventisierung, in deren Rahmen Helene Fischer in der Halbzeit des Pokalfinals 2017 singen durfte. Über den Protest der anwesenden Fans echauffierte man sich wochenlang.
Der neueste Ausdruck der Geringschätzung gegenüber den Stadiongängern ist die Einführung des Montagsspiels auch in der Bundesliga. Der Fan im Stadion macht nur noch den geringsten Teil der Einnahmen der Clubs aus – und so wird er auch behandelt. Jahre der Treue zählen nichts im Vergleich zu den Millionen aus der Fernsehvermarktung. Deshalb stehen die Interessen der Fans ganz weit unten.
Bei diesen unheiligen finanziellen Interessen, die vor denen der Fans stehen, und der anhaltenden prekären Lage des HSV wundert es mich nicht, wenn den Anhängern irgendwann die Hutschnur reißt. Natürlich ist es unbestritten, dass ein Spielabbruch – exemplarisch seien hier nur die Raketen auf dem Platz genannt – nicht das Mittel der
Wahl zum Frustabbau sein darf.
Man erweist nicht nur dem
Verein, sondern auch der Fanszene einen Bärendienst. Das ist eigentlich jedem klar. Umso wichtiger ist es, diesen Tabubruch zu hinterfragen.
Insider sprechen von der so genannten selbsterfüllenden Prophezeiung. Plump ausgedrückt: Ein Ereignis wird herbeigeredet. So war es auch in Bremen, wo im Vorwege Horrorszenarien heraufbeschworen wurden und ein Gericht pünktlich zum Nordderby die Beteiligung der Clubs an den Polizeikosten für rechtmäßig befand. Umso erstaunlicher, dass ein hochgerüsteter Polizeiapparat dann ausgehebelt wird durch ein paar junge Menschen, die einen Rucksack mit Pyrotechnik über den Zaun werfen.
Natürlich gibt es ein Fanprojekt und Fanbeauftragte, die Eskalationen präventiv entgegenwirken können, doch ihr Einfluss ist endlich. Insbesondere dann, wenn sich der Fan nur noch als unwichtige Randerscheinung behandelt sieht, als Kunde oder potenzielles Sicherheitsrisiko. Die Bemühungen der Fanbetreuer werden auch unterlaufen durch manche unbedachte Aussage von Offiziellen oder Spielern – siehe oben.
Mantramäßig forderte man diese Saison zudem wieder die Unterstützung der Fans. Das ist ein Affront. Über mangelnde Unterstützung kann sich der HSV nämlich seit Jahren nicht beschweren. Ganz im Gegenteil, aber die Mannschaft hat diese nie zurückgezahlt.
Und so vermengen sich der Frust über das Gefühl, nicht mehr als wichtige Stakeholder des Fußballs wahrgenommen zu werden, und die Ohnmacht über das Rumgewurstel des HSV zu Wut. Man täte gut daran, einen internen Dialog zu führen und nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen, indem man denen, die den Verein in guten als auch sehr schlechten Zeiten unterstützen, das Fansein abspricht. Mit ihnen, im Gegensatz zu anderen, ginge es nämlich auch in die zweite Liga. Das sollte beim HSV keiner vergessen.
Das Dilemma der Fans: Wenn überhaupt, wird meist über sie gesprochen, nicht mit ihnen.