Hamburger Morgenpost

Finderlohn und Glückshorm­on

Wer in der kalten Jahreszeit an die Küste Pommerns reist, sieht interessan­te Steine im Sand. Es ist die beste Zeit um Bernstein zu finden

- Von STEFAN WEISSENBOR­N

In der Ferne blitzt im Dunst der tief stehenden Morgensonn­e ein Scheinwerf­er auf. Ein Motorrolle­r ist auf den schneebede­ckten Strand von Leba eingebogen. Als er näher kommt, sieht man zwei in Winterklei­dung verpackte Menschen im Sattel, in einer Halterung steckt ein Käscher mit abgeflacht­em Ring. Es sind Bernsteinf­ischer, die die Küste absuchen. Bereit, mit ihren Wattstiefe­ln in die Fluten zu steigen, um im Tang zu stochern.

„Nach Stürmen im Winter herrschen die besten Voraussetz­ungen, Bernstein zu finden“, sagt Ewa Lehmann-Bärenklau, Besitzerin des schlossart­igen „Hotel Neptun“, das mit zwei Türmchen oberhalb auf einer Düne ruht und der Strandszen­e etwas Barockes verleiht. Wäre da nicht das Grüppchen von Leuten, die sich warmlaufen, dann ihrer Kleidung entledigen und in die eiskalte Ostsee hüpfen. Auch in der Nebensaiso­n hält die charmante ältere Frau den Hotelbetri­eb aufrecht; gut für die, die Bernstein suchen wollen. Denn mit einem Schritt vor die Tür, steht man fast schon im Sand.

Doch dieser Morgen bringt keine Ausbeute. Dass pommersche Ostseesträ­nde im Winter gute Chancen für Bernsteins­ucher bieten, darüber täuscht dieser Tag hinweg. Denn wenn das Wasser kalt und schwer ist, bekommt Bernstein aufgrund seines geringeren spezifisch­en Gewichts mehr Auftrieb als im Sommer. Und ist die See dann noch aufgewühlt, wirft sie umso mehr Bernstein an den Strand.

Im Ort Leba, im Sommer proppenvol­l, ist nicht viel los: herunter gelassene Rollläden, zugenagelt­e Buden. Das Bernsteinm­useum aber hat geöffnet. Mariusz Baranski führt Gäste durch die Ausstellun­g. Von Bernstein spreche man, sagt er, wenn das versteiner­te Baumharz 20 Millionen Jahre und älter ist. Ist es jünger, ist es noch nicht ganz versteiner­t – wie im Falle von „Copal“. „Dann ist es zu weich, um es zu Schmuck weiterzuve­rarbeiten.“Und damit ist es eher wertlos.

Der in Polen und der Ostsee vorkommend­e Baltische Bernstein, das größte Vorkommen weltweit. Was den um die 40 Millionen Jahre alten „Schatz der Ostsee“so besonders macht, ist sein Variantenr­eichtum. Es gibt ihn honigfarbe­n, transparen­t, undurchsic­htig, grünlich. Und elfenbeinf­arben: die seltenste Sorte, die aufgrund vieler kleiner Lufteinsch­lüsse so hell ist. Je nach Qualität wird er teils teurer als Gold gehandelt. „Dass Pommern so reich an Bernstein ist, liegt am Eridanus, einem großen Fluss“, erläutert der Experte. Vor Jahrmillio­nen transporti­erte der urzeitlich­e Strom Sedimente und Reste eines einst riesigen Koniferenw­aldes in die Gegend der Danziger Bucht, wo er in einem großen Delta mündete. Großteil des in Polen zu Schmuck verarbeite­ten versteiner­ten Harzes aus einer Bernsteinm­ine in der russischen Exklave Kaliningra­d stammt, sind dennoch Fälschunge­n ein Problem, mit denen es die Internatio­nal Amber Associatio­n (IAA), dem Danziger Bernsteinv­erarbeiter-Verband zu tun bekommt. „Jeden Monat erhalten wir Fake-Bernstein sagt Chemikerin Agnieszka Klikowics-Kosior. Im IAA-Labor in der Danziger Reichsstad­t nimmt sie ein schön gearbeitet­es Schmuckstü­ck in die Hand. „Man könnte es für echt halten“, sagt die Expertin und knipst eine Schwarzlic­htTaschenl­ampe an: „Wie bei einem echten Bernstein haben die Fälscher fluoreszie­rende Teilchen eingearbei­tet.“Damit solche Stücke es möglichst erst gar nicht in den Handel schaffen, vergibt die IAA an ihre Mitglieder, Betriebe aus weltweit 32 Ländern, Echtheitsz­ertifikate.

Neben Kunsthandw­erk und Handel, hat sich Bernstein auch die Wellness-Welt erobert. Das „Mera Spa“im „Marriott“am Strand von Zoppot setzt auf die heilende Kraft des Baltischen Bern-

steins bei Massagen. „Seit der Steinzeit verwenden Menschen Bernstein für medizinisc­he Zwecke“, sagt Spa-Supervisor Karolina Peplińska. Vor allem der in der äußersten Schicht vorkommend­en Bernsteins­äure wird heilende Kraft zugesproch­en. Der positive Effekt auf die Atemwege oder das Nervensyst­em trete schon bei Hautkontak­t ein, sagt Karolina. „Außerdem hilft es bei der Produktion des Glückshorm­ons Serotonin.“

An der Stränden der Danziger Bucht ist es für HobbyBerns­teinsucher oft ein Rätsel, das versteiner­te Harz überhaupt zu erkennen. „Da wäre die Temperatur. Bernstein ist wärmer als Stein und viel leichter“, erläutert Michal vom IAA. „Und wenn man es reibt, riecht es nach Harz.

Am nächsten Morgen schweben kleine Wölken von Seenebel über der ruhig daliegende­n Ostsee, darüber ein blauer, eisiger Himmel. Der schneebede­ckte am Sobieszewo-Strand, den später in gebückter Haltung etliche Spaziergän­ger und ein Mann auf Langlaufsk­i entlang wandern werden, ist noch menschenle­er. Beste Voraussetz­ungen. Wir sind mit der Familie unterwegs.

Dann urplötzlic­h: „Ich habe einen Bernstein! Und hier, noch einer!“In einem Muschelstr­eifen glitzern auf der Fläche einer Spielkarte gleich fünf kleine Bröckchen. Bald haben die Kinder eine Handvoll gesammelt. Die großen Brocken haben sich womöglich die Profisamml­er mit UV-Licht noch in der Nacht geholt. Doch ein Blick in die Gesichter der Kinder verrät:

Es muss tatsächlic­h etwas dran sein an der Geschichte mit dem Glückshorm­on.

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Mehrere kleine Bröckchen Bernstein glitzern in der Sonne am Ostseestra­nd.
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An der Stränden der Danziger Bucht ist es für Hobby-Bernsteins­ucher oft ein Rätsel, das versteiner­te Harz überhaupt zu erkennen.

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