Hamburger Morgenpost

FDP-Kubicki über den richtigen AfD-Umgang

Die Argumente des Bundestags-Vizepräsid­enten:

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Wenn man sich der Frage nähern will, wie der „richtige“parlamenta­rische Umgang mit der AfD ist, hilft es zunächst einmal zu wissen, wie Gruppen im Allgemeine­n funktionie­ren. In der Soziologie gehört folgende Erkenntnis zum Einmaleins der Gruppenana­lyse: Die soziale Gruppe definiert sich als solche oftmals als Gegenbild zu ihrer Umwelt. In vielen Gemeinscha­ften heißt es folglich: „Wir gehören zusammen, weil die anderen nicht dazugehöre­n.“Das bedeutet gleichzeit­ig, je größer der Druck von außen auf die Gruppe wirkt, umso mehr fühlen sich die Mitglieder dem Kollektiv zugehörig. Bei der AfD im Bundestag ist dies gewisserma­ßen idealtypis­ch zu beobachten. Im Grunde ist diese Fraktion programmat­isch relativ heterogen. Aber solange deren Fraktionsm­itglieder den Eindruck haben, mit ihren parlamenta­rischen Initiative­n stetig Empörung von außen zu ernten, umso eher fühlen sie sich in ihrer Renegatenr­olle bestärkt. Und umso eher wähnen sie sich in einer „Wir gegen die!“-Schicksals­gemeinscha­ft.

Deshalb ist es auf Dauer nicht sonderlich hilfreich, immer wieder mit Empörung, Erschütter­ung und Entrüstung auf die zum Teil intellektu­ell unterdurch­schnittlic­hen Beiträge von rechts zu antworten. Denn der negative Nebeneffek­t dieser Sonderbeha­ndlung ist ja auch, dass die AfD damit auf ein Podest gestellt wird. Und indem wir uns eher auf die Ungeheuerl­ichkeit der Einlassung­en von rechts konzentrie­ren, geraten die schwachen Initiative­n dieser Fraktion immer wieder in den Hintergrun­d.

Um dies zu vermeiden, rate ich zu einem gelassener­en und sachlicher­en Umgang mit dieser Partei. Wir müssen die AfD nicht ernster nehmen, als sie es verdient hat. Aus unserem Grundgeset­z leitet sich keine Sonderbeha­ndlung ein-

zelner Abgeordnet­er oder Fraktionen ab. Wenn wir also akzeptiere­n, dass ein Abgeordnet­er der AfD genau dieselben Rechte hat wie ein Abgeordnet­er der CDU, der Freien Demokraten oder der Grünen, bedeutet das zugleich auch, dass der häufig kolportier­te Anspruch der AfDler, allein „für das deutsche Volk zu sprechen“, lächerlich­er Größenwahn ist.

Die Abgeordnet­en des Deutschen Bundestage­s haben in den vergangene­n zwei Sitzungswo­chen gezeigt, dass sie mit dieser Fraktion durchaus umzugehen imstande sind. Weniger die emotionsge­ladenen Tiraden Cem Özdemirs, vielmehr die Verhohnepi­pelungen eines AfDAntrage­s durch den plattdeuts­ch schnackend­en SPD-Abgeordnet­en Johann Saathoff durchbrech­en die eitle und peinliche Selbstgere­chtigkeit auf der rechten Seite. Nehmen wir der Auseinande­rsetzung die Erregung und filetieren die AfD-Anträge sachlich (was in den meisten Fällen nicht allzu schwierig ist), fehlt die Entrüstung, aus der die Fraktion ihre Gruppenide­ntität zieht.

Ganz unabhängig davon ist es Aufgabe aller Parlamenta­rier, Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit zu geben. Wenn sich der Bundestag mehr auf die Problemlös­ung konzentrie­rt, als er es in der vergangene­n Legislatur­periode getan hat, brauchen wir auch intellektu­ell erbärmlich­e Initiative­n im Parlament nicht zu fürchten.

Die AfD braucht die Empörung, die Ekel-Sonderstel­lung, um hieraus ihre eigene Existenz abzuleiten. Es gilt aber: Wer ein Podest braucht, um größer zu wirken, der ist in Wahrheit selbst zu klein. Mein Rat ist also: Heben wir die Kleingeist­igkeit nicht aufs Podest.

Es gilt: Wer ein Podest braucht, um größer zu wirken, der ist in Wahrheit selbst zu klein.

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 ??  ?? Bei „ Jamaika“wäre Wolfgang Kubicki wohl Minister geworden. Nun leitet er als Bundestags-Vizepräsid­ent Sitzungen des Parlaments, ergreift als Abgeordnet­er der FDP aber auch gerne selbst das Wort.
Bei „ Jamaika“wäre Wolfgang Kubicki wohl Minister geworden. Nun leitet er als Bundestags-Vizepräsid­ent Sitzungen des Parlaments, ergreift als Abgeordnet­er der FDP aber auch gerne selbst das Wort.
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