Expedition in die Welt der Maya
Pyramiden, Traumstrände, dichter Urwald – und eine abenteuerliche Rundreise: 1934 Kilometer über die Halbinsel Yucatán
Die Maya – eine der faszinierendsten und rätselhaftesten Hochkulturen der Menschheitsgeschichte. Erst 180 Jahre ist es her, dass die Abenteurer John Lloyd Stephens und Frederick Catherwood auf die ersten Pyramiden stießen. Die Meldung vom Fund einer riesigen, wohl 60000 Bauwerke umfassenden Maya-Stadt in Guatemala vor wenigen Wochen bestätigt, was Archäologen schon lange vermuten: dass der Großteil der Maya-Hinterlassenschaften bis heute unentdeckt ist, versteckt im Dickicht des Urwalds. Die Halbinsel Yucatán im Nordwesten Mexikos. Wir machen uns auf den Weg, die Welt der Maya zu entdecken. Abenteuer wollen wir erleben. Aber dass unser Wunsch schon so schnell in Erfüllung geht, hätten wir nicht gedacht. Es ist ein Donnerstag. Nach 14 Stunden Flug ist unsere Maschine in Cancún gelandet, und mit unserem Leihwagen sind wir im dichten Straßenverkehr dieser 628 000 Einwohner großen Stadt dabei, nach unserem Hotel zu suchen, als plötzlich wildes Blaulicht aufblitzt hinter uns und eine Sirene aufheult. Die Polizei!
Ich kurbele die Scheibe runter. Der Beamte – immer eine Hand an der Waffe – tischt mir das Märchen auf, ich hätte eine rote Ampel missachtet, sagt, dass er den Führerschein behalten werde und ich ihn erst am nächsten Tag in der Wache wiederbekomme, sobald ich die Strafe gezahlt habe. Ich bin entsetzt. „Aber wir wollen doch morgen aufbrechen zur großen Maya-Rundreise“, flehe ich.
Tja, sagt der Beamte, es gäbe da natürlich noch eine andere Möglichkeit... Kurz darauf bin ich 75 Euro ärmer. Die Scheine muss ich in ein Buch einlegen, das er mir tief in den Fußraum des Auto hält, damit niemand sonst was sieht. Ich zittere am ganzen Leib. „Gute Reise noch. Und achten Sie künftig auf die Ampeln“, sagt er grinsend, als er geht. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen.
Später im Hotel erfahre ich vom Mann an der Rezeption, dass das ein gängiger Trick korrupter Polizei ist: Verkehrsverstöße einfach zu erfinden, um Touristen auszunehmen. Abenteuer Yucatán.
Mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hatten die Weltreisenden Stephens und Catherwood, als sie ab 1839 die Welt der Maya erkundeten. Da gab es noch keine Schnellstraßen, die zu den Pyramiden führten. Sie mussten sich mit Macheten Meter um Meter vorkämpfen. Sumpf ließ die Maultiere, mit denen sie unterwegs waren, bis zum Bauch versinken. Stachelgewächse rissen Hände und Gesichter auf. Mückenschwärme, die aus dem Morast quollen, verbreiteten Fieber. Wenn abends der Urwald erwachte, dann schrien die Brüllaffen, Schreie gellten durch den Urwald wie gerissenes Wild sie ausstößt, wenn es zusammenbricht.
Völlig erschöpft hatten Stephens und Catherwood manches Mal große Zweifel, ob sich in dieser scheinbar unberührten, verwunschenen Welt wirklich steinerne Bauwerke finden würden – bis der Augenblick kam, da sich das Wunder zeigte.
180 Jahre später beginnt unsere Expedition. Aufgeregt, neugierig und immer noch ziemlich wütend darüber, dass wir uns von einem Polizisten übers Ohr hauen ließen, setzen wir uns ins Auto. Die Straßen, die durch die Wildnis Yucatáns führen, sind meist schnurgerade und leer. In der Mitte eine nicht enden wollende gestrichelte gelbe Linie, an der wir uns die nächsten 17
Tage orientieren, 1934 Kilometer lang.
Und eine Menge steht uns bevor: Wir machen Rast an sogenannten Cenoten, 70, 80 Meter tiefe Höhlen mit unterirdischen Wasserläufen, die den Maya heilig waren und in denen wir uns schwimmend Abkühlung verschaffen. Wir übernachten in Urwald-Hotels, die wir im Dunkeln nur mit Mühe finden. Wir stehen fast täglich vor neuen Pyramiden, neuen Palästen.
Dass die Faszination nicht nachlässt, sie im Gegenteil immer noch größer wird, liegt an den Menschen, denen wir begegnen und die dazu beitragen, dass die Steinhaufen lebendig werden. Da ist vor allem Antonio zu nennen, der eigentlich Vermessungsingenieur ist, aber als Touristenführer in der antiken Stätte Uxmal arbeitet. Er weiß über die Maya alles, denn er ist selbst einer. Ein direkter Nachfahre der Ureinwohner, sogar deren altertümliche Sprache spricht er.
Fasziniert hören wir Antonio zu, was er über die Kultur seines Volkes erzählt: dass sie einzigartige Baumeister waren, Menschenopfer darbrachten. Dass sie daran glaubten, es gäbe 13 Ebenen des Himmels und neun Ebenen der Unterwelt und dass sich „9“und „13“als rituelle Zahlen überall an den Bauwerken wiederfinden – beispielsweise am sogenannten „Gouverneurspalast“, der neun Eingänge an den Seiten und vier an den Enden hat – was zusammen 13 macht.
Überhaupt seien die Maya regelrechte Mathe-Fanatiker gewesen, sagt Antonio. Neben einem rituellen Kalender gab es auch einen Sonnenkalender, der 18 Monate zu je 20 Tagen kannte und der genauer sein soll als unser heutiger Kalender. Ich stutze. „18 mal 20, da komme ich nur auf 360 Tage. Fehlen da nicht fünf?“– „Nein, nein, mein Freund“, grinst Antonio. „Sie dürfen nie die Rechnung ohne die fünf Pechtage machen“– rituelle Tage, an denen die Maya die Götter anriefen und in ihren Gebeten wohl vor allem um eins baten: um Regen. Der war sehr knapp.
Was eigentlich hat die Maya um 900 n. Chr. dazu veranlasst, ihre riesigen Städte kollektiv aufzugeben? Ganz genau wissen es die Forscher nicht. Aber es gibt Theorien. Kriege und Revolutionen könnten eine Rolle gespielt haben. Ganz sicher haben die Maya Raubbau an der Natur betrieben, haben weite Landstriche abgeholzt und sich so um ihre eigenen Lebensgrundlagen gebracht. Favorisiert wird die Annahme, dass es am Ende der Maya-Kultur eine viele Jahrzehnte währende Dürreperiode gab, die das Volk dazu veranlasste, ihre angestammten Orte aufzugeben. Der Urwald überwucherte schon bald alles, schützte die Bauwerke jahrhundertelang – vor Zerstörung und vor Blicken.
Chichén Itzá, das zu den „Sieben neuen Weltwundern“zählt, ist natürlich ein Muss auf jeder Maya-Rundreise. Diese Ausgrabungsstätte wird allerdings täglich ab mittags von Tages-Ausflüglern aus den Badeorten Cancún, Tulum und Playa del Carmen überschwemmt. Frühmorgens um sechs hin und bloß schnell wieder weg, das ist unser Rat.
Auf keinen Fall sollte der Reisende Palenque im Bundesstaat Chiapas verpassen. Es ist zwar eine beschwerliche Autofahrt bis dahin, aber es lohnt sich. Die Stadt ist in ein malerisches Tal hineingebaut. 1949 wurde hier die Grabkammer des legendären Königs Pacal entdeckt. Sarkophag und Totenmaske sind im Museum ausgestellt.
Unser Geheimtipp ist Calakmul, wo sich die größten Pyramiden der Maya-Kultur befinden. Wer nach stundenlanger Anreise am Kassenhäuschen ankommt, sollte sich nicht täuschen lassen. Es folgen noch einmal eineinhalb Stunden Autofahrt quer durch den Urwald auf furchtbarster Huckelpiste – aber die Mühe lohnt sich. Gut beraten ist übrigens, wer sich einen Führer nimmt. Andernfalls könnte es dem Besucher so ergehen wie uns. Als wir nach drei Stunden Besichtigung zurück zum Auto wollen, finden wir den Weg nicht. Drei Mal kommen wir am selben Tempel vorbei, was bedeutet: Wir gehen im Kreis! Um uns herum dichter Dschungel, Moskitos überall, in den Bäumen schwingen sich Affen von Ast zu Ast und scheinen sich über unsere Unbeholfenheit zu amüsieren. Für einen Moment fürchte ich, dass wir mit ihnen wohl die Nacht verbringen werden – aber irgendwie finden wir dann doch den Weg.
Yucatán ist kein gefährlicher Flecken Erde. Wir werden nicht bestohlen. Nicht bedroht. Nicht mal schief angeguckt. Die Menschen sind unglaublich gastfreundlich. Gefahr geht weniger von Räubern als von den unfassbar riesigen Schlaglöchern auf der Straße aus. Nur eins verlangt uns noch größeren Respekt ab als der Straßenverkehr: Das sind die Pyramiden. Raufklettern geht noch, aber runter??? Wir sind begeistert vom Ausblick von der Pyramide in Calakmul über den schier endlosen Regenwald – aber als wir mit dem Abstieg beginnen, ergreift uns – ohne Übertreibung – Todesangst. Beim Blick in die Tiefe wird uns schwindlig. Es gibt nichts zum Festhalten. Ein einziger Fehltritt, und das Leben ist zu Ende.
17 Tage dauert unser Abenteuer Yucatán. Kaputt und glücklich sind wir am Morgen des 18. Tages auf dem Weg zum Flughafen in Cancún, um die Heimreise anzutreten. Nur noch ein, zwei Kilometer sind es bis zum Mietwagen-Büro, als hinter uns ein Streifenwagen auftaucht mit Blaulicht und Sirene und uns die Beamten Zeichen geben: rechts ran. „Nicht noch mal!“, das ist der Gedanke, der mir durch den Kopf geht. Adrenalin schießt ins Blut. Als der Polizist dann das Märchen erzählt, ich wäre zu schnell gefahren und er mir die Alternativen aufzeigt, dass er entweder den Führerschein behält oder ich ihm ein Sümmchen zustecke, da fange ich an zu brüllen wie die Affen im Urwald: Dass ich ihn anzeige! Dass ich so etwas nicht mit mir machen lasse! Dass ein Kollege von ihm dasselbe Spiel schon mal abgezogen hat!
Was dann passiert, überrascht mich: Völlig verdutzt drückt mir der Officer meinen Führerschein in die Hand, salutiert und wünscht mir eine gute Fahrt.