„Bei mir kam im Leben immer alles viel zu früh“
VON HORST STELLMACHER Sein Leben reicht für mindestens drei. Georg Uecker (57), legendärer „Dr. Carsten Flöter“aus der „Lindenstraße“, hat auf seiner Reise Stationen angefahren, die sich keiner wünscht und an denen auch er lieber vorbeigerauscht wäre: Krebs, HIV, Skandale, der Tod seiner großen Liebe. Vieles, was er erreichte, verlor er wieder, vieles erkämpfte er sich zurück. In seinem Buch „Ich mach dann mal weiter!“(Fischer Verlag) und in der MOPO am Sonntag gibt er den Blick frei in sein Seelenleben.
Was bedeutet Ihnen der Buchtitel „Ich mach dann mal weiter!“? Ich bin in einem Alter, in dem andere schon daran denken, sich einen Lodenmantel, ein Reihenhaus, einen Dackel zu kaufen. Das habe ich nicht vor. Ich will mit allem weitermachen – mit der Neugier, mit dem Suchen, mit der Arbeit. Bei mir sind alle vier Herdplatten an. Ich achte drauf, dass nichts anbrennt – aber es soll auch keine erlöschen.
MOPO am Sonntag: Georg Uecker: Das hat man Ihnen aber äußerlich lange Zeit nicht angesehen, da sahen Sie nicht gerade wie das blühende Leben aus. Das hat sich glücklicherweise geändert – was haben Sie gemacht?
Ich habe das natürlich mitbekommen. Ich habe die Blicke der Leute gespürt und versucht, alles zu überspielen. Als das nicht mehr reichte, habe ich mit dem Arzt gesprochen, wir haben was geändert: die Tablettenkombi umgestellt, einen anderen Ernährungsplan aufgestellt. Ich schlafe jetzt auch mal länger, gehe nicht bei jeder Party als Letzter und – zack! – habe ich wieder so was wie ein Gesicht.
Warum waren Sie so dürr?
Es lag an der sogenannten Lipoatrophie. Das ist eine Therapie, bei der die Tabletten dafür sorgen, dass es dir gut geht, aber auch dass du dann scheiße aussiehst. Je besser es dir geht, desto hagerer wirst du im Gesicht. Für so was zahlen manche Frauen in Düsseldorf ein Vermögen.
Wie geht es Ihnen heute?
Die Viruslast in meinem Körper ist unter dem Messwert. Ich bin gesund.
In Ihrem Buch schreiben Sie auch über Ihr Schwulsein, das Coming-out, Ihre Krankheiten und die Liebe Ihres Lebens. Schwer, das aufzuschreiben?
Es war ein Abenteuer und ein dorniger Weg. Ich habe mich oft gefragt: Warum mache ich das eigentlich? Das Buch soll ein Plädoyer für das Leben sein – und eine Liebeserklärung an John.
Anlass ist das schwärzeste Jahr in Ihrem Leben vor 25 Jahren …
Ja, ich hatte damals mit der „Lindenstraße“aufgehört und bin zu John – der großen Liebe meines Lebens, – nach London gezogen. John war schon an HIV erkrankt. Wir wussten, dass unsere Zeit begrenzt ist, hofften aber, dass die Medizin Fortschritte macht.
Waren Sie bei ihm, als er starb?
Nein, ich war leider gerade in Köln, als er ins Krankenhaus musste. Ich habe ihn um wenige Stunden verpasst, weil ich meinen Flug nicht umbuchen konnte. Und als ich endlich loskam, klingelte das Telefon mit der Todesnachricht. Wir haben seine Asche an einem besonderen Ort in London verstreut.
Kurz darauf der nächste Schock ...
Ich
spürte,
dass
irgendwas
in meinem Körper nicht in Ordnung war, was nicht nur von der Trauer und dem Herzensschmerz herrühren konnte. Bald war klar: Ich hatte Krebs, Morbus Hodgkin, einen bösartigen Tumor des Lymphsystems. Und dann wurde festgestellt, dass ich HIV-positiv bin. Aber ich war immer eine zähe Natur!
Was bedeutete das in dem Fall?
Nach viereinhalb Monaten war alles, was mit Krankheit zu tun hatte, weg. Bis heute ist nichts mehr zurückgekommen. Aber dafür kam der emotionale Crash. Ich war hoch mit Cortison dosiert worden. Als das abgesetzt wurde, bekam ich schwerste Depressionen, dachte an Selbstmord.
Wo blieb Ihr Lebensmut?
Die Rückreise ins normale Leben dauerte sehr lange. Ich wollte nicht mehr. Ich war so jung, hatte schon so viel erlebt: Mit 16 mein Coming-out, mit 17 war ich in Schwulenkneipen, in denen ich nicht hätte sein dürfen. Mit 23 war ich Teil eines Ensembles, das über 14 Millionen Zuschauer hatte. Mit 27 war ich Teil eines Skandals. Und mit 30 Witwer. Bei mir war vieles zu früh, aber nichts zu spät.
Außer dieser Unterbrechung sind Sie fast von Anfang an durchgehend in der „Lindenstraße“. Sie sorgten für „Skandal!“-Schlagzeilen, als Ihre Figur Dr. Carsten Flöter 1990 Robert Engel küsste. Haben Sie sich vorstellen können, was Sie lostreten?
Nein. Es gab ja schon 1987 einen Kuss zwischen Carsten und Gertchen, der unbeachtet blieb. Aber nach diesem Kuss erhielt ich sogar Personenschutz. Es gab jede Menge schrecklicher Briefe, sogar Bombendrohungen. Mir wurde erst langsam klar, warum man sich so auf mich eingeschossen hatte. Es lag daran, dass ich nie ein Geheimnis draus gemacht hatte, dass ich privat auch homosexuell bin.