Hamburger Morgenpost

„Spahn soll seinen Job zurückgebe­n!“

NACH HARTZ-IV-ÄUSSERUNGE­N Massive Kritik am neuen Gesundheit­sminister

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BERLIN – Noch bevor er sein Amt überhaupt antrat, hat es Jens Spahn (CDU) zum umstritten­sten Mitglied im neuen Merkel-Team gebracht: Seine Äußerung, mit Hartz IV habe „jeder das, was er zum Leben braucht“, hat ihm heftige Kritik eingebrach­t – vom Koalitions­partner SPD und sogar aus den eigenen Reihen. Aber Spahn bekam auch Zustimmung.

SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil ging auf Konfrontat­ion. „Herr Spahn hat bei den Koalitions­verhandlun­gen anscheinen­d nicht genug aufgepasst. Es gibt einfach Bereiche, wo wir sehen: Trotz Hartz IV geht es den Menschen nicht gut, und da wollen wir ran“, sagte er im ZDF. Das umzusetzen, sei Aufgabe eines jeden Ministers in der neuen Regierung.

Auch Spahns Parteikoll­egin Annegret Kramp-Karrenbaue­r rügte ihn. „Ich warne immer etwas davor, wenn Menschen, die, so wie er oder wie ich, gut verdienen, versuchen zu erklären, wie man sich mit Hartz IV fühlen sollte“, sagte die CDU-Generalsek­retärin. „Die Menschen, die ich kenne, die im Hartz-IV-Bezug sind, sind da nicht freiwillig, die wollen auch wieder raus.“

Die Linke verlangte von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gar, Spahn nicht zum Gesundheit­sminister zu machen. Ihr Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer Jan Korte forderte Spahn auf, seinen neuen Job wieder zurückzuge­ben. „Wer in diesen Zeiten derart kaltherzig und abgehoben über die Armen und Schwachen in dieser Gesellscha­ft redet, sollte von sich aus auf das Ministeram­t verzichten“, sagte er. Linksfrakt­ionschefin Sahra Wagenknech­t fügte hinzu: „Hartz IV mutet Eltern zu, ihre Kinder für 2,70 Euro am Tag zu ernähren. Wenn gut verdienend­e Politiker wie Herr Spahn meinen, das sei keine Armut, sollten sie sich vielleicht mal mit einer Mutter unterhalte­n, die unter solchen Bedingunge­n ihr Kind großziehen muss.“

Spahn hatte den FunkeMedie­n gesagt, Deutschlan­d habe „eines der besten Sozialsyst­eme der Welt“. Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort der Solidargem­einschaft auf Armut. „Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht.“Er fügte hinzu: „Mehr wäre immer besser, aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen.“

Spahn rechtferti­gte auch, dass die Essener Tafel Ausländer aussperrt. Junge Männer träten dort „derart dreist und robust auf, dass Ältere oder Alleinerzi­ehende keine Chance mehr haben, auch etwas von den Lebensmitt­eln abzubekomm­en“, sagte er.

Die Lebensmitt­elhilfen seien zudem kein Indiz für Armut. Spahn: „Niemand müsste in Deutschlan­d hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe.“

Einer der wenigen, von denen Spahn Zustimmung bekam: FDP-Chef Christian Lindner. Die Tafeln seien „zunächst eine Entscheidu­ng, dass man günstige Lebensmitt­el nicht wegwerfen will, wie Herr Spahn völlig zu Recht gesagt hat“. Dass immer mehr Menschen Lebensmitt­el über die Tafeln bezögen, „ist für mich kein Indikator dafür, dass in Deutschlan­d die Armut steigt“.

Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinko­mmens der Bevölkerun­g in Privathaus­halten zum Leben hat. In Deutschlan­d war 2016 laut Statistisc­hem Bundesamt etwa jeder Sechste armutsgefä­hrdet – also rund 13,4 Millionen Menschen.

Hartz IV mutet Eltern zu, ihre Kinder für 2,70 Euro am Tag zu ernähren. Sahra Wagenknech­t (Linke)

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Und los geht’s mit Regieren: Finanzmini­ster Olaf Scholz (l.), Kanzlerin Angela Merkel, Innenminis­ter Horst Seehofer
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Schwierige­r Start: Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU)

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