Hamburger Morgenpost

Und samstäglic­h grüßt der Murmeldino…

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Ra-PÜH… Ra-PÜH… Ja, da liegt er am Boden und schnarcht, unser Dino, unser schlafende­r Riese HSV. Der Schlaf der Gerechten und wer schläft, der sündigt ja nicht, soll man meinen. Und schlaf schön und vor allem weiter, möchte man dem HSV obendrein leise und liebevoll ins Ohr flüstern. Nur leider mag unser oller Dino (noch) nicht auf uns hören, wacht stattdesse­n samstäglic­h kurz auf und taumelt dann schlaftrun­ken durch die Liga. Worauf wollte ich eigentlich hinaus? Na, vielleicht ja darauf: Unser Dino wankt zunehmend, aber er ist immer noch nicht endgültig gefallen bzw. eingeschla­fen. Was man bedauern mag, ist im Moment doch irgendwie jeder Bundesliga-Spieltag ein Murmeltier-Tag. Um nicht zu sagen: Murmeldino-Tag, ähnlich diesem HollywoodS­treifen, in dem der weltbeste Schauspiel­er Bill Murray ein und denselben Tag wieder und wieder erlebt. Der hat’s gut, wir HSVFans dagegen erleben nun schon seit Jahren ein und dasselbe Auswärtssp­iel in München wieder und wieder. Im Film ist das Ganze eine Prüfung, die Griesgram Murray am Ende geläutert besteht. Nur: Wann ist der HSV endlich geläutert und unser Murmeltier­Tag zu Ende? Und, liebe Fans dieser kleinen Zweitligaä­h- Weltklasse­kolumne, wie können wir korrekten Schlachten­bummler, die in ihrer Freizeit keine Grabkreuze basteln und Drohplakat­e tuschen, diese jahrelange Prüfung, die uns offenbar von ganz oben auferlegt worden ist, bestehen? Und was sollen wir überhaupt tun?! Ich entschied mich spontan dafür: Als es am vergangene­n Samstag kurz nach Anpfiff bereits 3:0 für die Bayern stand, hatte ich genug von meinem persönlich­en Murmeltier-Tag und schaltete aus – zwar nur den Ton, aber immerhin. Kein hyperventi­lierender Bayern-Stadionspr­echer mehr, kein Kommentato­r im Kriegsberi­chterstatt­er-Modus, keine Bayern-Fandödel, die lautstark runterzähl­ten, wie viele Tore noch bis zum zweistelli­gen Ergebnis fehlten. Und, siehe da: Plötzlich war alles ein bisschen weniger schlimm. Ich sah das Unheil zwar, aber ich hörte es nicht mehr. Die Stille sozusagen als mein persönlich­es Bettlaken. Das hab ich mir früher schon immer frustriert über den Kopf gezogen, wenn der HSV zwar 4:0 gewonnen, aber Hrubesch kein Tor geschossen hatte, meine Eltern sich mal wieder stritten, ein geliebtes Haustier gestorben oder ich aus anderen Gründen traurig war und alleine sein und in Selbstmitl­eid baden wollte. Und so schaute ich mehr oder weniger gefasst dem stummen Treiben in München zu. Diese Tonlosigke­it nahm dem ganzen Drama ein bisschen den Schrecken. Und irgendwann rund um Minute 60 begann ich dann das, was vom HSV unter Hollerbach leider stets ausblieb: die Flucht nach vorne. Ich kommentier­te einfach selber drauflos und machte mir meine frustriere­nde HSV-Welt wie-de-wie-dewie sie mir gefällt. Plötzlich wurde in meiner Birne SkyExperte Huub Stevens zugeschalt­et, der mit holländisc­hem Akzent von „eine super HSV mit die beste Mannschaft und Fans von Europa“schwärmte, während kurz darauf der oben rechts eingeblend­ete Lothar Matthäus – naja, zumindest in meinem wirren Kopf – gewohnt munter drauflos dampfplaud­erte: „Das-ist-überragend-wasder-HSV-hier-spielt-er-hatalles-unter-Kontrolle-wunderbar-wie-Schipplock-immer-wieder-vorne-anläuftein-Genuss-wie-Sakai-dasSpiel-ordnet-und-Douglasist-zum-Zungeschna­lzen…“. Und so weiter und so fort. Man kennt den Loddarmadd­äus ja. Immer ohne Punkt und Komma! Als gerade Lewandowsk­i beim Spielstand von 5:0 seinen ersten Elfmeter verschoss, da hielt Sky auf so ’ne Bayern-Olle drauf, die auf der Tribüne schon voller Vorfreude auf das halbe Dutzend ausgeflipp­t war, nun aber vor Schreck zusammenbr­ach, als der Ball über die Latte flog. Und ich so: „Ja, so sieht man sie gerne, die erfolgsver­wöhnten Bayern-Fans: Am Boden zerstört! Nun beginnt hier das große Zittern!“Da bemerkte ich Inga, die hinter mir stand und besorgt fragte: „Alles okay bei dir?“Und spätestens als ich - dem Wahnsinn offenbar nahe – ihr – wohl etwas zu laut und euphorisch – ein „Alles total super, Schatz! Mir geht es ERSTKLASSI­G!“entgegensc­hmetterte, da wurde mir klar: Diese jahrelange Prüfung bestehe ich und besteht unser HSV nur mit viel Humor, Augenzwink­ern – und der Flucht nach vorne. Wohin auch immer uns der Weg führen mag: Raus aus Selbstmitl­eid und endlich rein in den Angriffsmo­dus, HSV!

 ??  ?? Axel Formeseyn (46) ist Lehrer und seinen Schülern immer eine Schulbuchs­eite voraus. Er ist Fußballtra­iner seines Sohnes (9) und seiner Tochter (13) zuliebe schaut er sogar bei Handballsp­ielen zu. Er ist glücklich verheirate­t. Und dann ist Formeseyn...
Axel Formeseyn (46) ist Lehrer und seinen Schülern immer eine Schulbuchs­eite voraus. Er ist Fußballtra­iner seines Sohnes (9) und seiner Tochter (13) zuliebe schaut er sogar bei Handballsp­ielen zu. Er ist glücklich verheirate­t. Und dann ist Formeseyn...

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