„Ich lag zwei Tage lang neben meinem toten Vater“
Songwriterin und Schauspiele Charlotte Gainsbourg spricht mit der MO über die Schicksalsschläge in ihrem Leben
Schwere Themen, tanzbarer Sound: Auf ihrem ersten Album seit sechs Jahren verarbeitet Songwriterin und Schauspielerin Charlotte Gainsbourg (46) Verlust und Abschied, etwa den Tod von Halbschwester Kate Barry und Chanson-Gottvater Serge Gainsbourg. Währenddessen bitten die aufmunternden Elektrobeats schon mal auf den Dancefloor. Im MOPO-Interview erzählt sie entspannt und offenherzig von den schweren letzten Jahren.
MOPO: In dem Song „Lying With You“beschreiben Sie eine Szene, kurz nachdem Ihr Vater, der große Serge Gainsbourg, starb. Warum war Ihnen das wichtig? Charlotte Gainsbourg: Weil es bis heute eine sehr lebendige Erinnerung ist. Ich war damals 19 und so nah mit seinem Tod konfrontiert. Es ist schwer, die Bilder aus dem Kopf zu kriegen.
Sie sollen noch stundenlang mit dem Leichnam Ihres Vaters verbracht haben.
Meine Schwester Kate war bei mir, wir lagen neben ihm auf seinem Bett, und es fühlte sich an, als würden Tage vergehen. Tatsächlich waren es über zwei Tage. Es war, als würde die Zeit still stehen. Ich konnte ihn einfach nicht gehen lassen. Sein Tod passierte auch noch ausgerechnet zu einer Zeit, wo ich wieder bei ihm einziehen wollte.
Sie hatten also noch Pläne?
Ja, er renovierte eigens Zimmer für mich. Ihm ging es nicht gut, aber ich habe es nicht gemerkt. Sein Tod traf mich völlig unvorbereitet. Ich hatte bis dahin noch nie so etwas Schmerzvolles erlebt. Aber ich musste außerdem mit dem Schmerz anderer Leute fertigwerden.
Inwiefern?
Mein Vater war ein Nationalheiligtum in Frankreich. Immer wenn ich das Haus verließ, erzählte mir jeder, wie betrübt er sei und was für ein Genie mein Vater gewesen sei. Aber es war furchtbar, etwas so Privates mit Fremden zu teilen. Ich habe es nicht mal geschafft, seinen Haushalt aufzulösen.
Bis heute nicht?
Bis heute nicht. Es sieht aus, als sei er erst gestern gegangen. Alles so wie 1991.
2014 sind Sie nach New York gezogen, um über den Tod Ihrer Stiefschwester hinwegzukommen, die bei einem Fenstersturz starb. Darüber singen Sie in dem neuen Song „Kate“. Hat das geholfen?
Nicht ganz. Der Schmerz wird immer da sein. Aber der Umzug war trotzdem ein wichtiger Schritt, denn ich war nach dem Vorfall drauf und dran, depressiv zu werden.
Ein Stück handelt davon, wie Sie das Grab Ihrer Schwester besuchen.
Genau genommen habe ich drei Personen, die ich auf dem Friedhof besuche: meinen Stiefvater, meinen Vater und meine Schwester. Sie liegen alle im selben Bereich. Wenn ich nach Paris fliege, verspüre ich den Drang, dorthin zu gehen. Nach dem Tod meines Vaters habe ich immer Zwiegespräche mit ihm abgehalten, ich fühlte mich gehört. Heute spreche ich mit ihm und Kate. Ich glaube nicht an den Himmel oder so was. Aber ich brauche ihre Präsenz in meinem Leben.
In Lars von Triers Skandalfilmen „Antichrist“und „Nymphomaniac“entblößen Sie sich. Würde das Ihrem Vater, der selbst gerne provoziert hat, gefallen?
Nein, gar nicht! Ich glaube, er wäre schockiert! Natürlich hat er oft auf sexuelle Provokationen gesetzt, aber immer auf schöne, irgendwie liebliche Art: „Je t’aime...Moi Non Plus“, sein Duett mit meiner Mutter, war ja wie ein vertonter Beischlaf und ziemlich schockierend zu der Zeit – aber eigentlich war es schlichtweg ein Liebeslied. Ähnlich war es beim Duett mit mir als Zwölfjähriger für „Lemon Incest“, was als Stück über den Inzest zwischen Vater und Tochter gewertet wurde. Wohingegen ich in meinen Filmen Dingen auf den Grund gehe, die die weniger liebevolle Seite von Sex aufzeigen.
Und das hätte Ihr Vater abgelehnt? Ja. Nicht, dass er LiebesHass-Spielereien nicht gemocht hätte. Aber seine Tochter inmitten derber Masturbation zu sehen...? Nein, stolz wäre er darauf sicher nicht gewesen. Dass ich es trotzdem getan habe, liegt vermutlich auch an dem Wunsch, mich beruflich frei zu machen von seinem Schatten.
DAS INTERVIEW FÜHRTE KATJA SCHWEMMERS
➤ Mojo-Club: 21.3., 20 Uhr, ausverk.