Krawall-Tanz So gut ist das G20-Musical
Berliner haben unseren Gewalt-Gipfel zu einem Kultur-Highlight gemacht
Ist jetzt nicht auf Anhieb logisch, aber die Schanze liegt in Berlin. Um die Flora kämpfen sie im tiefsten Neukölln, auf der Karl-MarxStraße – immerhin, das passt irgendwie. Die „Neuköllner Oper“hat sich einen Reim gemacht auf all das, was uns Hamburger im Sommer 2017 so sprachlos machte: „Welcome to Hell“heißt das G20-Musical rund um Weltschmerz und Systemkritik, Polizeigewalt und Krawall-Bubis aus gutem Hause. Ein Singspiel inmitten brennender Barrikaden? Die MOPO hat sich das Stück angeschaut.
Autor und Regisseur Peter Lund erzählt an der Berliner Off-Bühne die bitterste Hamburgensie der Neuzeit mit einem Dutzend Gestalten und Geschichten: darunter die Bloggerin Sabine, der Polizist Stefan, der Autonome Andi, die Kassiererin Krissy und der Stricher Jesús. Sie leiden und lieben – und haben schiere Angst in jenen Juli-Tagen.
Sind wütend über diese irrwitzige Idee, einen G20-Gipfel in Steinwurfweite vom Schulterblatt zu veranstalten. Und sie werden eingequetscht zwischen kriegslüsterner Polizeiarmee und um sich schlagenden Finsterlingen mit schwarzen Hoodies.
„Hello, Molly“! Mit vielen Ohrwürmern und schmissiger Choreografie gelingt der Spagat: ein Musical mit Herz und Schmerz, klugen Running Gags und derben Kalauern – und mit einem glänzenden Gespann junger Darsteller, von denen so mancher noch das Handwerk lernt, das er hier schon so überragend präsentiert.
Darsteller wie Mathias Reiser: Dem gelingt der autonome Poser mit Luxus-Stipendium vom Vater in der Elbchaussee nicht nur stimmlich und tänzerisch glänzend, sein Andi wird sogar lebendig voller selbstgerechter Wut und echter Selbstzweifel – ein Kunststück, das in der Glimmerwelt der Musical-Stereotype nicht so arg oft gelingt.
Andi get your gun: Den Showdown mit vorgehaltener Waffe hätte Lund gern streichen können, genau wie die Geschichte des christlichen Einfaltspinsels Friedrich auf dem unweigerlichen Weg zum befreiten Schwulen – der hatte sich offenbar aus einer ganz anderen Geschichte in „Welcome to Hell“verkeilt, ohne jeden Bezug zur Handlung.
Aber das macht wirklich nichts: Wer wissen will, wie eine junge und hoch talentierte Truppe Täter und Opfer tanzen lässt, der ist bei „Welcome to Hell“goldrichtig. Wir Hamburger haben die Untersuchungsausschüsse. Die Berliner haben ein Musical. Vermutlich ist das die klügere Aufarbeitung. Ganz sicher ist sie lustiger. Neuköllner Oper, Berlin, nächste Vorstellungen: 18. und 23.-25. März, 11-28 Euro