Revolution lag in der Luft
Vor 50 Jahren: Nach Dutschke-Attentat marschieren Hamburgs Studenten zum Springer-Haus
Ostern 1968, vor 50 Jahren, liegt Revolution in der Luft – in Hamburg genauso wie in anderen Universitätsstädten. Tausende von Studenten, Schülern und Lehrlingen gehen in der Hansestadt auf die Straße, liefern sich erbitterte Straßenschlachten mit der Polizei, werfen Steine und bauen Barrikaden. Nicht nur ein bisschen Protest haben sie im Sinn. Sie träumen von einem Staat, in dem alle gleich sind und jeder mitreden kann, einem sozialistischen Staat, der anders ist, nicht wie in der DDR. Das erreichen sie zwar nicht. Doch immerhin: Die alte Ordnung wirbeln sie ganz schön durcheinander. Mit Folgen bis heute.
Deutschland Anfang der 60er Jahre: Kein Land, in dem über die Verbrechen des Nazi-Regimes gesprochen wird. Im Gegenteil. Nazis sitzen noch an den Schalthebeln, sind Richter, Professoren, Polizisten. Schüler werden wie selbstverständlich von Lehrern geschlagen. Mitbestimmen? Von wegen! Gehorchen ist angesagt. Sex? Um Gottes willen nicht vor der Ehe. Und dass der Bündnispartner USA einen mörderischen Krieg in Vietnam führt, hat man gefälligst hinzunehmen.
Doch jetzt sagt die Jugend nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten westlichen Welt zu all dem: Nein! Studenten skandieren „Ho! Ho! Ho! Chi Minh!“– den Namen eines vietnamesischen Revolutionärs –, sie tragen Fahnen mit den Porträts von Mao, Marx und Che Guevara. Und die Alten – sie sind entsetzt.
Ihre Idole sind Mao, Marx und Che Guevara
Der Tag, der die Republik für immer verändert, ist der Gründonnerstag, 11. April 1968. Josef Bachmann, ein Rechtsextremist, reist mit dem Zug aus München an, um den Mann zu treffen, den große Teile der Jugend verehren, den jedoch viele Konservative für die Inkarnation des Bösen oder zumindest für einen Agenten des Ostblocks halten. Direkt vor dem Gebäude des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in West-Berlin spricht Bachmann den Gesuchten an: „Sind Sie Rudi Dutschke?“Als der mit „Ja“antwortet, schießt Bachmann, trifft ihn zwei Mal in den Kopf, ein Mal in die Brust. Es ist 16.35 Uhr. Dutschke überlebt.
Die Nachricht vom Attentat verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Ähnlich wie in Berlin kommt es in Hamburg noch am selben Abend zu ersten Protesten. Gegen 19.50 Uhr meldet ein Streifenwagen an die Funkzentrale, dass sich im Univiertel Hunderte Studenten versammeln und
sich Richtung Springer-Verlag bewegen. Parolen werden gerufen, Farbeier auf die Fassade geworfen. Polizeibeamte drängen die Demonstranten zurück. Etwa zur selben Zeit versammeln sich auf dem Gänsemarkt 300 Menschen vor der Geschäftsstelle des „Hamburger Abendblatts“, protestieren gegen Verleger Axel Springer, nennen ihn „Mörder!“und werfen Scheiben ein. Ansonsten bleibt alles friedlich. Noch.
Dass sich das bald ändern wird, ist spätestens dann klar, als in den Spätnachrichten eine Erklärung des SDS-Bundesvorstands veröffentlicht wird: „Nach dem Attentat auf Dutschke werden wir unsere Angriffe auf den Springer-Konzern als Zentrum der systematischen Hetzkampagne konzentrieren“, heißt es da. Der SDS kündigt für die Nacht von Karfreitag auf Ostersonnabend Aktionen an allen Springer-Niederlassungen an.
Dass die Studenten es ausgerechnet auf diesen Verlag abgesehen haben, ist nicht verwunderlich. Während linksliberale Medien Sympathie mit den Studenten haben, die seit Monaten fast jeden zweiten Tag gegen Vietnamkrieg und Notstandsgesetze auf der Straße sind, schüren die Springer-Zeitungen den Hass, nennen sie „akademische Gammler“oder „behaarte Affen“, verlangen „hartes Durchgreifen“, „Abschieben“, „Ausmerzen“. Der Attentäter hat das wohl wörtlich genommen, davon sind die Studenten überzeugt. „,Bild‘ hat mitgeschossen!“, rufen sie.
„Es lebe die Revolution, auf zu Springer!“
Sprecher des SDS in Hamburg ist Karl Heinz Roth, genannt „Karlo“, ein damals 25-jähriger Medizinstudent. Auf einer UniVollversammlung am Tag nach den Schüssen auf Dutschke ergreift der sprachgewaltige junge Mann das Wort, setzt sich über den zögernden AStA hinweg und ruft: „Es lebe die Revolution. Auf zum SpringerHaus!“
50 Jahre danach trifft sich die MOPO am Sonntag mit Karlo Roth. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten redet er über das, was Ostern 1968 geschah. „Wir hatten schon häufiger vor Springer demonstriert“, erinnert er sich, „deshalb kannten wir das Terrain gut. Wir hatten Lageskizzen gefertigt, und dank einiger Elektrotechnik-Studenten, die den Polizeifunk abhörten, wussten wir immer genau, was die andere Seite vorhat.“
Rund 3000 Studenten beteiligen sich damals an der Aktion. Sie umstellen das SpringerHaus: Kein Fahrzeug soll hier durchkommen, die druckfrische Zeitung darf nicht ausgeliefert werden, das ist das Ziel des Protests. Die Verlagsleitung jedoch drängt darauf, dass die Polizei für die Lieferwagen eine Schneise durch die Demonstranten schlägt. Gegen 22.50 Uhr gibt die Einsatzleitung das Stichwort: „Blendax“, was so viel heißt wie: „Wir putzen euch weg!“Es folgt der erste Durchbruchsversuch: Vorne fahren Wasserwerfer, dahinter die Lieferautos, deren Scheiben mit Zeitungsbündeln gepanzert sind.
Ein Lieferwagen rast in die Menge
Die Polizei trifft eine folgenschwere Fehlentscheidung: Ausgerechnet über die Caffamacherreihe, dort, wo es eine U-Bahn-Baustelle gibt und wo die Studenten mit Baumaterialien eine riesige Barrikade errichtet haben, soll der Durchbruch erfolgen. Es kommt zu einer heftigen Schlacht. Am Ende müssen die Beamten einsehen, dass es da kein Durchkommen gibt. Es regnet Steine auf sie herab. Alle Fahrzeuge müssen drehen. Erst der zweite Durchbruchsversuch gegen Mitternacht gelingt.
Am Ostermontag erreicht die Gewalt ihren Höhepunkt: Zunächst findet ein Ostermarsch statt, der friedlich bleibt. Doch gleich danach kommt es zu neuer Konfrontation, als Demonstranten auf das inzwischen mit Stacheldraht und Absperrgittern gesicherte Springer-Gebäude zumarschieren.
Um ein Haar gibt es im Kornträgergang einen Toten: Aus bis heute ungeklärten Gründen fährt plötzlich ein einzelner Springer-Lieferwagen direkt auf die Demonstranten zu. Ein junger Mann, der im Weg steht, zieht sich eine Lungenverletzung zu, muss ins Krankenhaus.
Als abends auch noch bekannt wird, dass die Polizei zwei SDS-Aktivisten festgenommen hat, verlagern sich die Straßenschlachten zum Polizeipräsidium am Berliner Tor. Steinwürfe der Studenten beantworten die Polizisten mit massivem Schlagstockeinsatz. „Es war schlimm, sehr schlimm“, so Detlev Hohn, damals 24-jähriger Polizeioberwachtmeister. In seinem Buch „Auch wir waren dabei – Ostern 1968 in Hamburg“schildert er die Ereignis minutiös: „Sie haben nicht nur geprügelt, sie haben die Studenten regelrecht verprügelt. Die ganze Wut meiner Kollegen entlud sich.“
„Chaos in der City“, titelt die MOPO tags darauf. Die einzige
Nicht-Springer-Zeitung kr tisiert einerseits die „klein Gruppe von Rebellen“, di „es auf die Spitze trieb prangert aber auch di „Knüppelorgie“der Poliz an, deren Beamte „vergesse haben, was man ihnen au der Polizeischule beig bracht hat: Kühler Kopf un Besonnenheit“.
Auch in den folgende Monaten kommt die Stad kommt das ganze Land nic zur Ruhe. Anfang Mai 196 versucht die Staatsgewa Rädelsführer Karlo Roth au dem Verkehr zu ziehen un einzusperren. Vergeblich. E taucht ab, ist ein Jahr auf de Flucht und organisiert vo seinem Versteck aus die A tionen.