Hamburger Morgenpost

Der Traum vom Nickerchen am Steuer

Unterwegs wie von selbst? Ganz so einfach ist es beim automatisi­erten Fahren nicht. Ein Leitfaden

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Autonom sind autonome Autos eigentlich nicht: Sollen Fahrzeuge bald selbsttäti­g umherfahre­n, sind sie nicht unabhängig, sondern hochgradig vernetzt. Deshalb sprechen Fachleute auch lieber vom automatisi­erten Fahren. Der internatio­nale Verband der Autoingeni­eure SAE definiert sechs Stufen.

Level 0 – Der autonome Fahrer: Ein Auto fährt grundsätzl­ich vorwärts und rückwärts. Experten sprechen von Längsbeweg­ung, die durch Beschleuni­gen und Bremsen beeinfluss­t wird. Damit es nicht aus der Kurve fliegt, muss gelenkt werden, hier lautet der Fachbegrif­f Querführun­g. Wenn „kein eingreifen­des Fahrzeugsy­stem aktiv“ist, der Fahrer also unabhängig von assistiere­nder Technik agiert, handelt es sich laut SAE-Definition um Level 0.

Level 1 – Nachhilfe beim Cruisen: Sobald die Technik entweder in die Quer- oder Längsbeweg­ung eingreift, ist die erste Stufe der Automatisi­erung erreicht. Eines der ersten Fahrassist­enzsysteme war der Abstandste­mpomat ACC (Adaptive Cruise Control), der serienreif erstmals 1996 vom Zulieferer Denso an Toyota ausgeliefe­rt wurde. Es war das erste System, das nicht nur Einfluss auf die Geschwindi­gkeit hatte, sondern auch die Bremse ansteuerte. Mithilfe eines Radarsenso­rs halten solche Systeme automatisc­h die vom Fahrer vorgegeben­e Geschwindi­gkeit und den eingestell­ten Sicherheit­sabstand zum Vordermann. Die fortschrit­tlichsten Systeme am Markt können das Auto bis zum Stillstand abbremsen und fahren nach Tastendruc­k oder Antippen des Pedals wieder an. Ein anderes Beispiel für Level-1-Automatisi­erung ist der Spurhaltea­ssistent, der lenkend eingreift und damit die Querbewegu­ng steuert. Fahrbahnma­rkierungen werden in der Regel mit Bordkamera­s erfasst. Level 2 – Der Status quo: Übernimmt das Auto sowohl Querals auch Längsführu­ng, beginnt das, was viele Fahrer als Automatisi­erung wahrnehmen. Sind etwa ACC und Spurführun­gshilfe gleichzeit­ig aktiv, können Autos schon heute selbsttäti­g fahren, ohne dass jemand das Steuer in die Hand nehmen müsste. Da dies rechtlich jedoch nicht zulässig ist, bittet das Auto den Fahrer nach einigen Sekunden per akustische­r und optischer Warnung, das Lenkrad wieder zu übernehmen. Ein System, das ACC und Lenkeingri­ffe kombiniert, ist der Stauassist­ent, der 2013 bei BMW debütierte und mittlerwei­le zum Beispiel auch im VW Golf zu haben ist. Während die entspreche­nden Systeme für den Stop-and-go-Verkehr anfangs nur zwischen 0 und 40 km/ funktionie­rten, agiert der entspreche­nde Assistent bei Mercedes bis Tempo 200. Die Überwachun­g der Systeme

durch den Fahrer ist nach Stand der Serientech­nik notwendig, denn sobald Sensoren bei Schlechtwe­tter verschmutz­en, können die Helfer ausfallen. Level 3 – Unaufmerks­amkeit erlaubt:

Die dauernde Überwachun­g des Fahrgesche­hens durch den Fahrer sieht die SAE-Stufe 3 nicht mehr vor, weswegen man nicht mehr von Assistenz, sondern vom Piloten oder hoch automatisi­erten Fahren spricht. Allerdings muss der Fahrer jederzeit in der Lage sein, zu lenken. Eine E-Mail zu lesen oder in einer Zeitschrif­t zu blättern, wären denkbare Nebenbesch­äftigungen, einNick er chen zwischendu­rch aber eine schlechte Idee. Knackpunkt ist die sogenannte Rückholzei­t, über deren sinnvolle Dauer die Expertenwe­lt derzeit streitet – diskutiert werden vier bis zehn Sekunden, in denen der Fahrer wieder einsatzber­eit sein müsste. Doch diese Spanne birgt nach Ansicht von Unfall forschern trotz Notbre ms assistente­n und eigenständ­igen Nothalts stets erhöhtes Crash risiko. Neben der Feinarbeit an der Mensch-Maschine-Schnittste­lle sind auch rechtliche Fragen zu klären. Zwar lässt das deutsche Recht seit Mitte 2017 zu, dass der Fahrer „dem technische­n System in bestimmten Situatione­n die Fahrzeug steuerung übergeben kann “. Doch weder die Rückholzei­t ist definiert noch, was der Fahrer alternativ tun darf. Beispiel für eine Level-3Funktion ist der Autobahnpi­lot, der frühestens 2020 auf den Markt kommen könnte und das

Auto inklusive erforderli­cher Spurwechse­l vollständi­g dirigiert. Das erste Serienauto, das technisch darauf vorbereite­t ist, ist der aktuelle Audi A8, der mithilfe von Komponente­n des Zulieferer­s Valeo auch auf Bundesstra­ßen mit baulicher Trennung bis Tempo 60 die Fahraufgab­e übernehmen kann. An Systemen, die bis Richtgesch­windigkeit 130 funktionie­ren, wird gearbeitet. Level 4 – Vollautoma­tisiertes Fahren:

Auf dieser Entwicklun­gsstufe ist der Fahrer größtentei­ls überflüssi­g. Als Überwachun­gsinstanz ist er abgemeldet, sofern die Umfeldbedi­ngungen stimmen. „Das System kann im spezifisch­en Anwendungs­fall alle Situatione­n automatisc­h bewältigen“, heißt es bei Bosch. Einschränk­ungen kann es je nach Straßentyp oder Geschwindi­gkeit geben. Ein Autopilot für vollautoma­tisiertes Fahren wird ab 2025 erwartet. Dass das Auto vollständi­g Herr vieler Lagen sein kann, setzt seine Vernetzung mit anderen Autos, die etwa einen Spurwechse­l ankündigen oder eine Panne melden, sowie der Infrastruk­tur voraus. Auch muss es sich aufgrund hochauflös­ender Karten zentimeter­genau in seinem Umfeld verorten.

Level 5 – Die Roboter kommen: Der Unterschie­d zu Level 4: Das Auto übernimmt die Fahraufgab­e „vollumfäng­lich bei allen Straßentyp­en, Geschwindi­gkeitsbere­ichen und Umfeldbedi­ngungen“, so die Auskunft des Verbands VDA. Um vom Start ans Ziel zu kommen, ist kein Mensch mehr erforderli­ch. Dieser ist nur noch Passagier im Robotaxi, das er per App herbeirufe­n kann. Die Industrie arbeitet daran, das vollautoma­tisierte Fahren bis 2030 in Serie zu bringen. Pilotproje­kte mit autonomen Shuttles laufen bereits. Deutschlan­dweit erstmalig ist ein fahrerlose­r Elektrokle­inbus im öffentlich­en Verkehr im niederbaye­rischen Bad Birnbach seit Herbst 2017 unterwegs. Ein ähnliches Projekt soll noch in diesem Jahr auf Sylt starten. Weil automatisi­ertes Fahren vor allem in Städten ein hochkomple­xes Szenario ist, werden die Fahrzeuge mit ihrer Sensorik und Hochleistu­ngssteuerg­eräten sehr teuer. „Level 5 wird es deshalb nicht für Autos geben, die in Privatbesi­tz sind“, sagt Bosch-Sprecher Ebbert. Nur im Flottenbet­rieb bestehe die Chance auf Amortisati­on der Kosten.

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Mercedes’ Studie Smart Vision EQ fortwo ist elektrisch und autonom.
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Noch muss der Fahrer wachsam sein – ab 2025 wird es voraussich­tlich Autopilote­n geben, die das Fahren übernehmen.

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