Hamburger Morgenpost

Beamte retten 67 Kinder aus Bruchbude

Bergedorf Wohnhaus illegal ausgebaut. Giftige Gase und offene Stromleitu­ngen – Bewohner in Lebensgefa­hr

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL, CARSTEN NEFF UND RÜDIGER GAERTNER

Die defekte Gastherme blies Kohlenmono­xid in Wohnräume. Im Bad gab es blanke Elektrolei­tungen und die Toiletten waren völlig verdreckt: In einem Bergedorfe­r Mietshaus herrschten entsetzlic­he Zustände – und hier lebten 158 Menschen, darunter 67 Kinder, unter Lebensgefa­hr!

Punkt 6 Uhr fuhr ein HVVBus an der Straße Reetwerder vor. Die Türen schwangen auf und 62 Polizisten sprangen raus, stürmten das dreistöcki­ge Gebäude. Dann rückten 50 weitere Beamte von Bezirksamt, Steuerfahn­dung, Jobcenter, Zoll und Einwohnerz­entralamt an. Sie trafen auf unglaublic­he Zustände.

Bis zu neun Menschen wurden in kleinen Zimmern angetroffe­n. Kaum acht Quadratmet­er standen den Bewohnern zur Verfügung. Nach dem Wohnraumsc­hutzgesetz müssen es mindestens zehn Quadratmet­er sein. Noch schlimmer: Die Bewohner von sechs Räumen waren in Lebensgefa­hr. Hier war die Gastherme defekt und hochgiftig­es Kohlenmono­xid strömte aus.

Der Hausbesitz­er hatte außerdem im Dachgescho­ss Menschen ohne Genehmigun­g einquartie­rt. Sanitärein­richtungen gab es im Haus viel zu wenige, viele Armaturen waren auch defekt.

Ebenso reichten die Müllbehält­er – die im Hausflur standen – niemals für die große Anzahl an Bewohnern. Sie quollen über, es stank im ganzen Haus. Auf einem Vordach im Hinterhof lag Sperrmüll und Dreck, dazu unzählige volle Windeln.

Wegen akuter Kindeswohl­gefährdung und der Gefahrensi­tuation durch die defekte Gastherme wurden sechs Räume für unbewohnba­r erklärt. 20 Erwachsene und zehn Kinder wurden mit dem HVV-Bus in ein Ausweichqu­artier von „Fördern und Wohnen“in Wandsbek gebracht.

Bei den betroffene­n Menschen handelt es sich zu etwa zwei Dritteln um Rumänen und zu einem Drittel um Bulgaren. Offiziell gemeldet sind in dem Haus 139 Erwachsene und 61 Kinder. Diese ungewöhnli­ch hohe Zahl war Mitarbeite­rn des Bezirksamt­s Bergedorf aufgefalle­n. Die Überprüfun­g wurde daraufhin wochenlang vorbereite­t. Von den Menschen, die gestern bei der Durchsuchu­ng angetroffe­n wurden, waren 43 nicht im Haus gemeldet.

Jetzt wird gegen den Besitzer des Mietshause­s, in dem vor Jahren auch Prostituie­rte ihrem Gewerbe nachgingen, ermittelt. Es soll sich um den Privatmann F. handeln, der dieses Haus seit etwa sieben Jahren besitzt. Angeblich soll er über einen „Hausmeiste­r“pauschal pro Zimmer 500 Euro monatlich in bar kassiert haben, erzählt ein ehemaliger Bewohner.

Keiner kontrollie­rte, wie viele Menschen in den Räumen lebten. Korrekte Mietverträ­ge gab es offenbar nicht. Der Vermieter war gestern für das Bezirksamt Bergedorf nicht greifbar. Er schickte lediglich einen „Beauftragt­en“zum Gebäude, der aber nicht entscheidu­ngsbefugt war. Das Bezirksamt wird den Hausbesitz­er nun auffordern, umgehend menschenwü­rdige Zustände in seinem Mietshaus zu schaffen.

Überall Müll, gebrauchte Windeln, dazu defekte Sanitäranl­agen und eine lebensgefä­hrliche Heizung

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Auf dem Vordach hinter dem Altbau liegen Dreck, Sperrmüll und unzählige Windeln. Bewohner besteigen einen HVV-Bus, der sie zu einem Ausweichqu­artier in Wandsbek bringt.
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 ??  ?? Polizisten sichern den Eingang des Gebäudes. Das KlingelBre­tt ist seit Langem defekt. Eine völlig verdreckte Toilette Statt vor der Tür standen die Mülltonnen im Hausflur und quollen über.
Polizisten sichern den Eingang des Gebäudes. Das KlingelBre­tt ist seit Langem defekt. Eine völlig verdreckte Toilette Statt vor der Tür standen die Mülltonnen im Hausflur und quollen über.

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